Krach geschlagen

Unter dem Demonstrationsmotto “Krach schlagen statt Kohldampf schieben!” zogen etwa 3.000, mit Kochgeschirr und anderem Lärmzeugs ausgerüstete Menschen am Sonntagnachmittag auf einer anfänglich sehr ärgerlichen Demo-Route durch die Oldenburger Innenstadt, um eine sofortige Anhebung der Hartz IV-Regelsätze um zunächst 80 Euro zu fordern. Die bundesweite Demo in Oldenburg, und nicht in Berlin oder Frankfurt stattfinden zu lassen, war ein interessanter Versuch, der medialen Ignoranz gegenüber solchen Protesten diesmal ein Schnippchen zu schlagen.

Hartz macht krank. Weltweit.

Die Idee, in weniger demonstrationserprobten Orten eine höhere Aufmerksamkeit zu erlangen, ist sicher eine Wiederholung wert, auch wenn sich am Tag danach feststellen lässt, dass dies, trotz einiger Berichte in alternativen Medien und der norddeutschen Presse, nicht durchschlagend gelungen ist.

Die Demo, die Auftakt zu weiteren Protesten sein soll, die sich am lateinamerikanischen Vorbild der „Cacerolazos“ orientieren – (bei denen mit symbolisch leeren Kochtöpfen Lärm geschlagen wird) – wird offenkundig von den grossen Medien erneut ignoriert. Dabei war die Teilnehmerzahl der Demo angesichts der schwierigen Bedingungen, die die Mobilisierung von Menschen mit sich bringt, die oft mit dem letzten Cent rechnen müssen, beachtlich. Ebenso beachtlich wie das breite Bündnis, das hinter der Demonstration stand. Immerhin engagierten sich erstmals Erwerbsloseninitiativen, regionale Bauern, autonome Gruppen und Gewerkschaften gemeinsam für den Protest.

Breites Bündnis von Erwerbslosen, Bauern und Gewerkschaften

Eine Folge davon war, dass bei den inhaltlichen Beiträgen auf eine Reduzierung der Forderungen auf leicht erhöhte Regelsätze verzichtet wurde. Stattdessen wurde ein weiter Bogen geschlagen, der weder die Folgen einer Armutsproduktion von Gütern des täglichen Bedarfs für eine Region noch für die Produktionsstandorte im Trikont ausliess.

Deutlich wurde, dass das Hartz-System nicht nur zur Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten in Deutschland führt, sondern dass Städte und Regionen, regionale Erzeuger und lokale Händler betroffen sind, und dass es zudem zu einer Vertiefung des weltweiten Elends beiträgt. Es wurde deutlich, dass die (unzureichende) Grundversorgung der Armen in Deutschland nur auf dem Rücken lokaler und regionaler Produzenten und Händler oder von noch ärmeren Menschen in Lateinamerika, in Asien oder Afrika sichergestellt werden kann. Deutlich wurde auch, dass für die Profite der Discounter tagtäglich Menschen zu leiden haben – nicht nur Hartz IV-Empfänger_innen in Deutschland, die sich mit vorkonfigurierten Tagesmenüs aus den Regalen der Lidl-, ALDI- oder Netto-Märkte begnügen müssen und dabei keine andere Wahl haben, als von der gnadenlosen Ausbeutung in den Orangenplantagen Spaniens oder den Sweatshops Asiens zu leben. Hartz IV ist ein System, dass davon lebt, dass die Armen die noch Ärmeren fressen müssen.

3.000 soziale Sprengsätze

Eine Forderung nach einer Erhöhung der Regelsätze ist daher nicht zwingend die Forderung nach einem „Mehr“, sondern auch nach einem „Anders“. Nach unter anderen Bedingungen produzierten Milchprodukten, nach unter menschenwürdigen Bedingungen geernteten Südfrüchten, nach unter fairen Bedingungen genähten Hosen und Hemden. Und die Forderung nach sofortiger Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze ist zugleich auch die Forderung nach einem ausreichenden Mindestlohn, der ein menschenwürdiges Dasein ohne staatliche Zuschüsse ermöglicht.

500 Euro Regelsatz! 10 Euro Mindestlohn!

In dieser Kombination erwächst den Hartz IV-Protesten eine neue Perspektive. Wenn vermittelt werden kann, dass höhere Regelsätze nicht nur ein Erbetteln einiger Brotkrumen mehr – (und mehr als Brotkrumen sind die geforderten 80 Euro sicher nicht) – sondern auch das Einfordern von fairen und menschenwürdigen Bedingungen für Bäckereifachverkäufer_innen und Milchbauern, für kleine Einzelhändler_innen und lokale Dienstleister sind, wenn 80 Euro mehr auch mit Blick auf das weltweite Elend der Lebensmittel- und Textilproduktion gefordert werden, dann ist es vielleicht möglich, die gesellschaftliche Stigmatisierung der „Überflüssigen“ in den nächsten Monaten zu durchbrechen.

Die Stigmatisierung durch Bündnisse durchbrechen.

Im Hinblick auf den Kampf gegen die nochmals extrem verschärfenden Regelungen der durch die CDU/CSU/FDP-Regierung angedrohten Hartz-Reform – die falscherweise oft auf die fragwürdigen „5 Euro mehr“ reduziert wird – wäre ein solcher Schritt in breitere gesellschaftliche Bündnisse bereits ein grosser Erfolg. Die Demonstration in Oldenburg, für die aus Wuppertal Tacheles e.V., das AZ und basta! gemeinsam mobilisiert hatten, war dafür ein gelungener Auftakt an einem lauten und schönen Nachmittag, der eigentlich nur durch die anfängliche, saudumme Demo-Route über die Ringstrassen ohne jedes Beachtungspotential, und durch die fast schon dummdreiste, deutlich sichtbare Teilnahme einiger „Grüner“ getrübt wurde.

Dummdreiste Hartz IV Mit-Erfinder im Protest dagegen

Hoffen wir, dass Kochlöffel und Kochgeschirr auch weiterhin nicht nur zum Kochen benutzt werden, sondern ab jetzt einen unüberhörbaren Krach erzeugen – und zwar solange, wie die Verteilung der Reichtümer nicht gerechter gestaltet wird. Weltweit.

Bis zum nächsten Mal

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