29. Januar – revisited

Heute ist es zwei Wochen her, dass 150 Neo-Nazis unter gewaltigem Polizeischutz in Wuppertal demonstriert haben. Und noch immer beschäftigen die Ereignisse des 29.01. viele Wuppertaler_innen. Die Erfahrungen, die viele der über 5.000 Gegendemonstranten an jenem Tag gemacht haben, waren für Menschen, die eher selten demonstrieren, teilweise neu und verstörend. So ist die grösste politische Manifestation, die die Stadt seit sehr vielen Jahren gesehen hat, auch heute noch vielfach Stadtgespräch – allen Versuchen der Lokalpresse zum Trotz, einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen.

Anders ist kaum zu erklären, dass die Film-Premiere der Dokumentation des Medienprojektes, die den Ablauf des Tages, die Gegendemonstration und den Nazi-Aufmarsch zeigt, am letzten Dienstag gleich zweimal komplett ausgebucht war. Und auch für die zusätzliche Aufführung des Films, (von dem Ausschnitte bei YouTube zu sehen sind), am nächsten Montag, sind die meisten Karten schon wieder weg. Auch das anhaltende Interesse an der nachbetrachtenden Gesprächsrunde des Wuppertaler AktionsRadios wupperstream mit Aktivisten und Aktivistinnen belegt das akute Informationsbedürfnis der Menschen.

Die Lokalpresse bastelt an einem linken Feindbild

Der WZ war die Fimpremiere des Medienprojektes, die über 600 Menschen im Cinemaxx an der Bundesallee verfolgten – dem Ort der ersten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten am vorletzten Samstag – nur einen kurzen Artikel wert. In ihm wird mit keinem Wort darauf eingegangen, was die Menschen eigentlich im Nachhinein noch so bewegt, und er kommt auch nicht auf den teilweise erschütternden und die Nazis entlarvenden Inhalt des Filmes zu sprechen. Anstatt die in „Hallo, ihr Trottel“ dokumentierten Aufforderungen der Nazis zu nackter Gewalt und den überzogenen Einsatz der Polizei zu thematisieren, schreibt der Autor lieber diffus von einer im Kino geäusserten „Kritik am Verhalten der linken Gegendemonstranten“.

Er reiht sich damit ein in die Riege jener Lokaljournalisten und -journalistinnen, die von Beginn an versucht haben, die Neo-Nazis zu verharmlosen und die gezeigte Zivilcourage von vielen tausend Wuppertaler_innen und ihren Gästen aus dem Umland als „linke Gewalt“ zu diskreditieren. Offenbar existiert bei vielen kein Bewusstsein dafür, dass so das miese Spiel der Nazitruppe mitgespielt wird, deren Aufmarsch sich explizit gegen vorgebliche „linke Gewalt und das autonome Zentrum“ an der Gathe richtete.

In der Gleichsetzung von zivilem Ungehorsam mit „linker Gewalt“ betreibt die Westdeutsche Zeitung jedoch nicht nur ungewollt das Geschäft der Rechtsextremisten, sie schliesst sich damit auch den teilweise vorproduzierten Stellungnahmen der Polizei an, die schon in ihrer ersten Presseerklärung am 29.01. deutlich gemacht hatte, wo ihr Feind steht: links natürlich.

Durch die kritiklose Übernahme der polizeilichen Positionen zum 29.01. kommt dem Wuppertaler Zeitungsmonopolisten jedoch neben der politischen Klugheit auch die Basis journalistischer Arbeit abhanden. Könnte man die Beurteilung zivilen Ungehorsams noch als politische Vorgabe eines konservativen Verlages verbuchen, so ist das Nacherzählen der offiziellen Einschätzung zum 29.01. der vorauseilende Verzicht auf Aufklärung dessen, was an diesem Samstag wirklich in Wuppertal vor sich ging.

Skandalöser Polizeieinsatz für eine Nazi-Demo

Das, was im Vorfeld, während und nach dem Naziaufmarsch in der Region geschehen ist, ist ein handfester Skandal, unter dem nicht nur die vielen engagierten Menschen gelitten haben, denen Pfefferspray ins Gesicht gesprüht wurde; die derbe auf die Gleise des Unterbarmer Bahnhofs gerempelt wurden; oder die bis in die Nacht in Gewahrsam sassen – darunter auch Minderjährige, teils ohne jeden Anlass. Es hat für einen Tag eine ganze Stadt geteilt, Nahverkehr unmöglich gemacht und zudem für Bilder eines Polizeistaates gesorgt, der um jeden Preis eine strafwürdige Kundgebung offen menschenfeindlich auftretender Leute ermöglichen wollte.

Die Polizei hat dabei am 29.01. in Wuppertal eben nicht nur Nazis mit einem eigenen „Shuttle-Service“ zu ihrer Kundgebung hin und später auch wieder weggefahren, mehrfach versäumt, nach (gut dokumentierten) Straftaten der Rechtsextremisten einzuschreiten, und schon bei Planung und Anmeldung von Gegenaktionen Tricks angewendet, antifaschistischen Widerstand zu verhindern, sie hat auch ihre wichtigste Aufgabe vergessen: Den Schutz der Menschen.

Sowohl in Wuppertal-Barmen, wo ein gewalttätiger Mob von etwa 50 rechten Schlägern trotz Alarmierung der Polizei mehr als dreissig Minuten ungehindert agieren konnte, als auch in Solingen-Ohligs, wo über 40 Minuten nach einem Notruf vergingen, bevor Polizisten erschienen, um eine Gruppe Neo-Nazis daran zu hindern, Menschen anzugreifen und einen bewaffneten Überfall auf einen Zug aus Köln vorzubereiten, wurde öffentlicher Raum scheinbar bereitwillig gewalttätigen rechten Horden überlassen.

Der Kontrast zum Eifer und zur Präsenz der Staatsmacht, wenn es darum ging, Gegendemonstranten daran zu hindern, bestimmte Stadtteile zu betreten, oder wenn in der Fussgängerzone „zu grosse Menschenansammlungen“ aufgelöst wurden – (ob wir im nächsten Weihnachtsgeschäft eine Wiederholung erleben dürfen?) – könnte grösser kaum sein.

Die Geiselnahme einer ganzen Stadt und die versuchte Kriminalisierung tausender Menschen, die versucht haben, eine oft eingeforderte Zivilcourage zu zeigen, müsste eigentlich auch WZ und WDR-Lokalzeit Grund genug sein, auch heute noch zu recherchieren. Und auch ihnen könnte sich dann kein anderes Bild zeigen, als all denen, die am 29.01. dabei gewesen sind:

Die offenbar unter einer Düsseldorfer Einsatzleitung agierende Polizei hat am Samstag, den 29.01. den Naziaufmarsch mit allen Mitteln ermöglicht. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Nazis keinen Meter auf Wuppertaler Boden zurückgelegt hätten, wäre der Eifer der Einsatzkräfte etwas kleiner ausgefallen. Und vieles deutet darauf hin, dass einer der Einsatzbefehle für den Tag lautete, eben jene “linke Gewalt” zu provozieren, von der die WZ fabuliert und gegen die die Neo-Nazis vorgeblich demonstrieren wollten.

Diesen Eindruck teilen auch die Mit-Organisatoren der Gegenkundgebung im Gespräch mit dem AktionsRadio. Vor dem Hintergrund einer Kumpanei, oder zumindest einer Interessengleichheit, bekommt die Tatsache, dass zwanzig Nazis, die sich ausgerechnet ins ehemalige Gestapo-Hauptquartier geflüchtet hatten  – (dem heutigen Wuppertaler Polizeipräsidium) – von dort via Polizeitaxi zu ihrer Kundgebung gebracht wurden, eine bedrückende Dimension.

„Handlungen Einzelner führen keinesfalls zum Abbruch einer Veranstaltung insgesamt“ (Polizei im NRW-Innenausschuss zum 29.01.)

Doch auch ohne eine besondere mediale Aufmerksamkeit sind die Dinge noch in Bewegung. So beschäftigte der 29.01. nach einer Anfrage der Landtagsfraktion DIE LINKE nicht nur den Innenausschuss des NRW-Landtages, auch die Staatsanwaltschaft wird sich noch mit dem Tag befassen müssen, nachdem gestern der einstimmig vom Wuppertaler Bündnis gegen Rechts beschlossene Strafantrag gegen die Polizeiführung gestellt wurde. (siehe Pressemitteilung von gestern)

Mangels sonstigen Interesses wurde die Öffentlichkeit des Innenausschusses ausschliesslich von einigen eigens nach Düsseldorf gefahrenen Wuppertaler_innen hergestellt. Sie konnten von einer vorhersehbaren Rechtfertigung der Polizei berichten und von ausweichenden Antworten auf Fragen nach den fehlenden Kontaktmöglichkeiten zur Einsatzleitung für die Organisatoren der Gegenkundgebung am 29.01. Sie konnten jedoch auch erstaunt erzählen, dass „strafbare Handlungen Einzelner keinesfalls zum Abbruch einer Veranstaltung insgesamt“ führen können.

Jede/r, der/die schon einmal an einer linken Demo teilgenommen hat, weiss, dass dies in der Regel genau andersherum ausgelegt wird. Wie sich diese – scheinbar neue – Linie auswirken wird, werden wir dann sicher schon bald – bei der traditionellen autonomen 1.Mai-Demonstration in Wuppertal – erleben können… Auch stellt sich die Frage, was die Polizei nun mit ihren „Agents Provocateurs“ anstellen will, die dem Vernehmen nach auch am vorletzten Samstag noch aktiv wurden, als es an der Kreuzung Hofkamp/Morianstr. am frühen Abend etwas unruhig wurde. Was passiert nun mit den nigelneuen „Black-Block-Klamotten“, die diese Leute immer tragen?

***

Der 29.01.2011 wird Wuppertal noch länger beschäftigen – auch ohne lokale Presse. Dafür wird schon das Bündnis gegen Rechts sorgen, dass keinesfalls einer Selbstauflösung entgegensteuert. Die neu gewachsenen Verbindungen und eine sehr effiziente Bündnisarbeit mit vielen Leuten, die in Bezug auf Info- und Infrastruktur, auf Mobilisierung und Aufklärung grossartige Arbeit geleistet haben, werden ebenso Bestand haben, wie die Erfahrung eines massiven zivilen Ungehorsams, der nun auch Wuppertal erreicht hat. Wünschenswert wäre es, wenn diese Erfahrungen nun auch in anderen Themenfeldern vertieft werden könnten – konstruktiveren,  als es solche Antifa-Aktionen jemals sein können.

Weitere Informationen (jeweils als pdf-Datei):
Der Strafantrag gegen die Polizei im Wortlaut als pdf zum Download
Presseerklärung des “Solinger Appells” zu den Ereignissen in Solingen-Ohligs
Pressemitteilung der VVN/Bund der Antifaschisten-Kreisvereinigung Wuppertal
Gedächtnisprotokoll aus dem Innenausschuss im NRW-Landtag zum Thema

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2 Kommentare Kommentar schreiben
  1. Mustafa - Türke sagt:

    Hallo,

    so ein Unsinn! Also ich war auch da und die Polizei hat das getan was Sie immer tut! Befehle ausführen! … Befehle die EURE Volksvertreter zu verantworten haben (EURE, weil ich nicht wählen darf) und die Medien tun dass, was Sie immer tun … verharmlosen!!!

    Man hat aus dem Aufstand in Solingen 1993 gelernt, als ca. 17 000 Demonstranten (Linke und Türken) ihren Unmut auf die Straße getragen haben … oder hat irgendeiner von Ihnen/ Euch mitbekommen, wie viele Moscheen im Laufe und im Nachklang der “Sarrazin-Debatte” in Deutschland gebrannt haben?

    Die letzten Jahre gab es eine enorme Präsenz von negativer Berichterstattung bezogen auf Menschen mit einem Migrationshintergrund/Ausländer in den Medien – ist jedoch jemand darauf gekommen zu kommentieren und zu bewerten, dass die rechte Gewalt in den letzten Jahren stark zugenommen hat oder dass rechtsradikales- und gruppenfeindliches Gedankengut die Mitte der Gesellschaft erreicht hat (siehe Studie Friedrich-Ebert-Stiftung Nov 2010 – müsste den SPD ´lern bekannt sein oder warum waren die so still während der Debatte des letzten Jahres) … natürlich nicht!!!

    Dann müsste man ja in den Spiegel schauen und sich selber kritisch beäugen!!!

    … sich hier über so eine Wahrheit aufzuregen ist doch …. naja …

    Positiv fand ich, dass sehr viele junge Menschen da waren und die Omnipräsenz der Menschen, die klar gemacht haben, hier im Tal gibt es genug Menschen die sich dem Kampf gegen euch (Nazis) stellen (ist die einzige Sprache die die verstehen!) reicht!!! – die Kommunikation Nazis vs. Gegner hat stattgefunden – was willst du mehr?

    Ich sehe die rechte Gefahr gar nicht so groß, wie hier getan wird und auch die Betroffenheit die viele ausdrücken halte ich persönlich für … nun ich sage mal – bei allen Menschen unter 60 Jahre -aufgesetzt, denn das Problem, auch in Wuppertal, ist weniger die Gewalt der Rechten (gegen die kann man sich hinstellen und den Kampf austragen) sondern vielmehr der auch in Wuppertal allgegenwärtige Alltagsrassismus!!!

    Das sich Bürger einer solchen Demo, genauso wie bei den Lichterketten in den 90´ern, anschließen und damit glauben was für Ihr Gewissen getan zu haben ist eine Sache – aber der ausführenden Staatsgewalt (ich meine den einfachen Polizisten) vorzuwerfen, Ihren Job zu machen kann ich nicht verstehen …

    Rassismus fängt nicht erst mit Nazisymbolen an, sondern in den tausenden Alltäglichkeiten … und in diesem Zusammenhang ist auch der Artikel der WZ eine 1A journalistisch, OBJEKTIVE Wiedergabe der Filmvorstellung, wo ist das Problem? Ist doch schön, dass es auch noch wirklich objektive Journalisten gibt!

    Ich verstehe diesen Artikel hier auch nicht ganz – geht es um euer Image oder die Erreichung eures Ziels … ähmm was ist euer Ziel? Keine Nazis oder kein Rassismus?

    Mustafa, ein Türke aus dem Bergischen Land

  2. Oscar sagt:

    Hallo, Mustafa. Ersteinmal vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.

    Und eine Anmerkung vorweg: Sowohl im Artikel, als auch in deinem Kommentar wurde der Name der angesprochenen Autorin ersetzt. Grund ist ein Gespräch, in dem sie darum gebeten hat, weil die durch den Artikel unterstellten Zusammenhänge ihrem langjährigen antifaschistischen Engagement grundsätzlich widersprechen. Da hat es die Falsche getroffen.

    Die inhaltliche Kritik wird jedoch aufrechterhalten. Obwohl der Mut der Macher_innen des Films gelobt wurde, wurde leider mit keinem Wort über das Resultat dieses Mutes berichtet – nämlich die üblen Inhalte der mutig dokumentierten Nazi-Demo.

    Damit zu deinem Kommentar: In vielen Punkten rennst du offene Türen ein. Der alltägliche Rassismus, die Behandlung von Wuppertaler_innen, die Flüchtlinge sind, und die gesellschaftlichen Debatten um „Integration“ und „Anpassung“ sind das ständige, permanente Problem. Viele Menschen im Aktionsbündnis basta! beschäftigen sich intensiv damit – teilweise auch schon seit „Solingen“. Das wirst du bei Durchsicht älterer Artikel feststellen. Deine Ansicht, dass das ansonsten oft viel zu wenig passiert – gerade auch in Zusammenhängen, die sich anlässlich einer Nazi-Demo dann mal aufraffen – wird geteilt.

    Und doch war das Engagement an diesem Samstag etwas Anderes. Das stellst du ja auch selber fest. Das hatte nichts von „Lichterkette“, da gab es sehr viel Entschlossenheit. Und zahlreichen Mut zu „zivilem Ungehorsam“, was in Wuppertal eine neue Qualität darstellt. Und es war ein Botschaft, die die, an die sie sich richtete, hoffentlich verstanden haben.

    Und auch an einem anderen Punkt muss dir widersprochen werden. Die Kritik an der Polizeiführung – und diese ist natürlich immer gemeint, es sei denn, es werden einzelne Ereignisse und die darin verwickelten Beamten kritisiert – ist angesichts der Ereignisse dieses Samstags nicht nur berechtigt, sondern notwendig. Jetzt über den „Befehlsnotstand“ einzelner Polizisten und Polizistinnen zu argumentieren, verlagert den Fokus der Kritik auf ein Nebenfeld, nämlich die beschissenen Arbeitsbedingungen, die der Staat denen zuteil werden lässt, die seine Vorgaben umsetzen müssen.

    Das lenkt aber ab. Es geht um Einsatzentscheidungen – und damit um politische Entscheidungen, die irgendwer getroffen hat und zukünftig treffen wird – z.B. im NRW-Innenministerium.

    Solidarische Grüsse

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