Nächste und übernächste Woche beabsichtigt das Land NRW Sammelabschiebungen von Flüchtlingen ins Kosovo, nach Serbien und Mazedonien durchzuführen. Die Abschiebung von Minderheiten in die Nachfolgestaaten Jugoslawiens ist ein Skandal im Skandal. Unterstützergruppen rufen zur Demonstration gegen die Sammelabschiebungen auf – Dienstag, den 05.04 um 10 Uhr und eine Woche später, Dienstag, den 12.04., und Donnerstag, den 14.04. – jeweils am Düsseldorfer Flughafen.
Wenn auf der Welt Katastrophen passieren, oder Menschen wahrnehmbar unter Kriegen in ihrer Heimat zu leiden haben, ist die Anteilnahme in Deutschland zumeist sehr gross. Bei Spendengalas reichen sich B- und C-Promis das Mikro von einer Hand in die andere, und die grinsenden Masken der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten kriegen sich vor lauter neu eingesammelten Rekordspendensummen gar nicht mehr ein. Selbst solch monströse Trickbetrüger wie AWD-Maschmeyer, denen ansonsten Einzelschicksale am Arsch vorbeigehen, lassen sich anlässlich der letztbesten Naturkatastrophe nicht lumpen, und zücken öffentlichkeitswirksam einen Scheck, mit dem sie einen Bruchteil ihres ergaunerten Vermögens an “die Notleidenden” abgeben.
Bedingung der öffentlichen Anteilnahme ist jedoch, dass die Betroffenen da bleiben, wo sie sind. Weit weg. Nicht in unserer Realität, sondern in unserem TV-Gerät. Bloss nicht zu nah an unserem kleinen, zusammengelogenen Dasein, das nur viel zu häufig ursächlich mit dem im Fernsehen gezeigten Leiden der Menschen zusammenhängt. Bleiben Menschen, die vor Krieg, Unglück oder auch einfacher wirtschaftlicher Not aus ihrer Heimat fliehen müssen, nicht auf Distanz, sondern kommen auf mörderischen Wegen und unter Inkaufnahme von Totalverlusten an sozialen Beziehungen und Lebensentwürfen zu uns, ist Schluss mit Barmherzigkeit, Empathie und Anteilnahme.
Im besten Fall werden die Menschen, die mit einer Erwartung an ein menschliches, demokratisches Deutschland zu uns gekommen sind, vergessen, im schlechtesten Fall werden sie schonmal erschlagen und verfolgt. Über die unerträglichen Bedingungen, unter denen diese Menschen hier eingesperrt und aufbewahrt werden, wollen die meisten von uns nichts wissen. Furchtbar bereitwillig wird das Märchen von “unbelehrbaren Integrationsunwilligen” und vom “Wohlstandsflüchtling” – an sich schon ein furchtbares Unwort – geglaubt.
Arbeitsverbote, eingeschränkte Bewegungsfreiheit, fehlender Sprachunterricht und gewollte soziale Ausgrenzung werden ignoriert. Und gerne registriert der gemeine deutsche Bürger und die gemeine deutsche Bürgerin offizielle Verlautbarungen zu “sicheren Drittländern” oder von “Verbesserungen der Lage” im Herkunftsland, obwohl diese oft von niemandem ausser den deutschen Behörden festgestellt werden kann.
Keine NGO-Beurteilung, keine UNESCO-Statistik und keine Zeugenaussage kann an einmal festgestellten Gründen für eine mögliche Abschiebung etwas ändern. Gnadenlos werden in der Folge Familien, Männer, Frauen, Kinder, Alte und Junge, teilweise auch in Deutschland geborene und aufgewachsene Menschen, aus ihrem temporären Zuhause verschleppt, inhaftiert und gegen ihren Willen in gecharteten Fliegern ausser Landes verbracht. Oftmals in eine völlig ungewisse Zukunft, ohne weitere Schulausbildung, ohne Zugang zur notwendigen Grundversorgung und auch ohne jeden Schutz vor weiterer Verfolgung. Teilweise verbringen deutsche Behörden Flüchtlinge direkt zu ihren Folterern, die sich über die frei Haus gelieferte politische Häftlingsfracht freuen. Dass die so Abgeschobenen im Anschluss auch noch die Kosten für die eigene Abschiebung und Charter tragen müssen, ist nur die Krönung des menschenverachtenden Systems. Alles das ist eigentlich bekannt. Es ist hinreichend dokumentiert. Und doch hält sich das Interesse der deutschen Öffentlichkeit in Grenzen, die genauso eng sind, wie die der EU.
Und wäre dann noch eine Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte notwendig, wie bei Angehörigen der Roma und Sinti-Volksgruppen, die bereits zum zweiten Mal in Deutschland über Nacht aus ihren Wohnungen geholt und in Lager abtransportiert werden, schlägt das Desinteresse schnell in offenen Rassismus um. Es ist der Landtagsfraktion der LINKEN zu danken, dass die Thematisierung des behördlichen Umgangs mit einer Opfergruppe Nazi-Deutschlands überhaupt einmal den Weg in den Landtag Nordrhein-Westfalens gefunden hat. (Download: Antrag der Fraktion im Landtag als pdf-Datei) Die behördliche Behandlung der massenhaft während der Nazizeit von Deutschen umgebrachten Angehörigen der Roma und Sinti ist ein Skandal im Skandal der Diskrimierung von Flüchtlingen. Anstatt den von Deutschen verfolgten und vernichteten Menschen zu helfen, kollaborieren deutsche Behörden erneut mit deren Verfolgern.
Auf Inititive der LINKEN und der neuen Landesregierung, wurde Anfang Dezember vergangenen Jahres wenigstens ein Abschiebestopp für Minderheitsangehörige in einzelne Staaten Ex-Jugoslawiens ausgesprochen. Dies geschah im Hinblick auf die winterlichen Temperaturen aus “humanitären Gründen”. Für die betroffenen Menschen bedeutete dieser “Wintererlass” einen kleinen Aufschub vor dem Abtransport in abolut unwürdige Lebensumstände, vor Verfolgung durch die jeweilige Bevölkerungsmehrheit und vor rassistischer Diskriminierung und Gewalt.
Gestern ist dieser Wintererlass ausgelaufen – ohne dass sich an den Gegebenheiten in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens etwas geändert hätte. Und nur fünf Tage nach Auslaufen der Verschonung soll nun endlich in aller Eile das nachgeholt werden, was den Ausländerbehörden im letzten Jahr untersagt wurde: Die massenweise Rückführung von Flüchtlingen in die Umstände, vor denen sie fliehen mussten. Am Dienstag, den 05.04. sollen die ersten Flüchtlinge von Düsseldorf aus mit einem Sammelcharter zurück nach Serbien und in den Kosovo gebracht werden. Eine Woche später werden die nächsten Flieger abheben. Das kann nicht einfach hingenommen werden.
Voraussichtlich wird sich die Verschleppung von Mitbürger_innen, die niemand als solche wahrnehmen will, die aber dennoch zu Wuppertal, zu Remscheid, zu Köln oder Bielefeld gehören wie alle anderen auch, nicht aufhalten lassen. Durch eine zahlreiche Teilnahme an den Demonstrationen kann jedoch zumindest die Solidarität mit den in Elend und Verfolgung zurückgeschickten Mitmenschen gezeigt werden. Und vielleicht führt eine spürbare, grosse Anteilnahme, die sich einmal nicht auf die Überweisung einiger Kröten auf ein Spendenkonto beschränkt, mittelfristig doch zu einem Umdenken bei Politik und Behörden. Wenigstens aber kann das Engagement dazu führen, zukünftig nicht mehr auf der Flucht vor dem eigenen schlechten Gewissen weghören zu müssen, wenn einmal Flüchtlingsschicksale die ebenfalls existierenden medialen Aufmerksamkeitsgrenzen überwinden.
Beteiligt euch an den Demonstrationen gegen die Sammelabschiebung am Düsseldorfer Flughafen: Dienstag, den 05.04. um 10 Uhr und zu den Folgeflügen: Dienstag, 12.04 und am Donnerstag, 14.04.
Solidarität muss praktisch werden
Download: Aufruf (als pdf-Datei)
[...] u. a. von : alle bleiben! & basta! [...]
Auch diesen Dienstag, 12.04., soll wieder ein Sammelcharter von D’dorf aus gehen, diesmal in das Kosovo, wo die Bedingungen für Minderheiten noch unerträglicher sind als sonst schon in den YU-Nachfolgestaaten. Dazu hat uns auch eine Pressemitteilung von “stay e.V.” erreicht, die wir hiermit dokumentieren wollen:
Pressemitteilung/
Einladung zur Pressekonferenz
Düsseldorf, den 11.4.2011
Protest gegen Sammelabschiebung von Roma-Familien in den Kosovo
Nach NRW-Wintererlass erneuter Abschiebeflug vom Düsseldorfer Flughafen
Am Dienstag, 12.4.2011 ist nach dem Auslaufen des Wintererlasses in NRW erneut ein Sammelabschiebungsflug vom Düsseldorfer Flughafen nach Pristina (Kosovo) geplant. Aus diesem Anlass wollen wir Sie zu einer
Pressekonferenz
am Dienstag, 12.4.2011, um 10 Uhr
am Düsseldorfer Flughafen, in der Abflughalle mittlerer Eingang der Abflug Ebene B, einladen.
Anwesend sein werden viele KritikerInnen der Sammelabschiebungen in den Kosovo, wie Christian Arnold, Geschäftsbereichsleiter Diakonie Düsseldorf, Iris Biesewinkel, Sozialarbeiterin Rom e.V., Monika Düker, MdL Bündnis 90/Grüne, Ali Atalan, MdL die LINKE, Oliver Ongaro, stay! e.V., von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge u.v.a.
Bundesweit kritisieren Menschenrechtsgruppen, Kirchen, Parteien und Verbände gerade die Abschiebung Angehöriger von Minderheiten in den Kosovo. Gerade die Roma wird im Kosovo absolutes Elend und tagtägliche Ausgrenzung erwarten. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hatte im Besuchsbericht 2009 wegen drohender Verelendung und möglicher ethnischer Konflikte von Abschiebungen abgeraten. Das UNHCR begrüßte ausdrücklich den NRW-Erlass vom 21.9.2010, der eine sorgfältige Einzelfallprüfung insbesondere bei Familien und alleinreisenden Frauen vorschreibt. Mehrere Roma-Familien aus NRW-Gemeinden und Göttingen haben sich bei Flüchtlings¬beratungs¬stellen gemeldet und von ihrer geplanten Abschiebung am Dienstag von Düsseldorf aus berichtet. Der Abschiebestopp, den NRW für die Wintermonate verhängt hatte, endete am 31.3.2010.
“Hier wird ganzen Familien die Existenzgrundlage entzogen, die oft über zehn Jahre in Deutschland gelebt haben, aber die harten Kriterien der Altfallregelung nicht erfüllen können”, so Nicole Tauscher von stay!, “Gerade die Sammelabschiebungen von ethnischen Minderheiten haben den perfiden Beigeschmack von Deportationen.”
Wir appellieren an die deutsche Regierung, die Abschiebung von Roma- Familien und anderen Menschen in den Kosovo zu stoppen und das Rückübernahmeabkommen mit dem Kosovo auszusetzen.
Wir fordern ein humanitäres Bleiberecht für ehemalige
Bürgerkriegsflüchtlinge!
Diese Familien haben ihr Zuhause in Deutschland!