Ja, bin ich denn Banane?

«Ich muss ehrlich sagen, ich war entsetzt über das, was die Polizeipräsidentin da gestern vorgetragen hat. Sie hat ein Dreistufenkonzept vorgeschlagen. Das erste war, die Polizei macht jetzt Strafverfolgung. Ich bitte Sie, Strafverfolgung ist das Kerngeschäft der Polizei! Zweitens, sie informiert ihre Kollegen und Kolleginnen – ja, bin ich denn Banane, oder was? – das ist die Aufgabe einer Behördenleiterin! (…) Und das dritte ist Prävention. Da hat die Polizei sogar eine eigene Abteilung für. (…) Ich dachte, sie stellt sich hin und entschuldigt sich mindestens mal. Bei den Opfern, bei all denen, die hier von Neonazigewalt betroffen waren.»

Gunhild Böth, NRW-MDL (DIE LINKE) aus Wuppertal und Landtags-Vizepräsidentin, in einer Liveschaltung des WDR nach Vohwinkel am Abend des 15.Dezember (siehe unten). An die 200 Menschen protestierten an diesem Tag gegen die Verstrickungen deutscher Behörden mit Neonazis und gegen die dann gleich noch mit.

Polizei unter Druck

Trotz nasskaltem Wetter und unbeeindruckt vom am Vortag per Pressegespräch von der Wuppertaler Polizei verteilten Placebo «Hellwach gegen Rechtsextremismus», zeigten an die 200 Menschen vor dem Polizeipräsidium in Wuppertal-Barmen ihre Empörumg über die untätige Zusammenarbeit deutscher Behörden mit Neonazis, die im Fall der durch die Thüringer Nazis Ermordeten mindestens zehn Menschenleben kostete.

Die TeilnehmerInnen der Kundgebung brachten ihre Trauer über die Opfer zum Ausdruck und erinnerten an die fünf, beim Brandanschlag auf das Haus der Familie Genç in Solingen 1993 getöteten Menschen. Auch damals waren Beziehungen des Verfassungsschutzes zur Szene in Solingen bekanntgeworden, aber nie ausermittelt worden. Eine Abordnung der Kundgebung durfte Blumen in Erinnerung an die Opfer vor der Gedenktafel des Präsidiums niederlegen.

Die von migrantischen Organsationen initiierte Kundgebung verlagerte sich im Anschluss nach Vohwinkel, wo im am meisten von Neonazis betroffenen Wuppertaler Stadtteil ein antifaschistisches Zeichen gesetzt werden sollte. Die Polizei, neuerdings «hellwach gegen Rechtsextremismus», wie sie am Vortag bei einer blitzartig angesetzten Pressekonferenz mitteilte, hielt sich auf der Kaiserstraße in Vohwinkel bemerkbar zurück. BeobachterInnen, die über den Westring nach Hause fuhren, konnten allerdings ein regelrechtes «Krawall-Aufgebot» beobachten, das abseits des Demo-Geschehens bereitgehalten wurde – inklusive einiger Gefangenentransporter.

Das Pressegespräch zum polizeilichen Umgang mit den Wuppertaler Neonazis, das mit seiner kurzfristigen Ansetzung offenkundig eine Reaktion auf die kritischeren Presseberichte der letzten Zeit und auf die Ankündigung der Protestkundgebung war, fand beziehungsreich im «Kleinen Lagerraum» der alten Gestapo-Zentrale statt.

Polizeipräsidentin Radermacher verkündete dabei neben jenem dreistufigen Absichtsplan zur intensiveren Arbeit gegen Nazigewalt, der die Abgeordnete Böth so auf die Palme brachte, auch die Ablösung des umstrittenen Leiters der Vohwinkeler Polizeiwache.

Ablesbar ist daran, dass die Wuppertaler Polizei unter Druck steht. Endlich – nach «gefühlt» unendlich langer Zeit – ist in der öffentlichen Meinung der Stadt das unerträgliche Phlegma von Polizei und Justiz als Thema angekommen. Bis dahin bedurfte es schon mehrerer schwer verletzter Menschen in Wuppertal und nicht zuletzt der zehn Toten der sogenannten «NSU».

Ein strukturelles Problem

Mit der Kundgebung am Wuppertaler Polizeipräsidium sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass die behördliche «Nazi-Unterstützung durch Untätigkeit» kein isoliertes Phänomen darstellt, sondern vielmehr ein strukturelles ist. Es beginnt im lokalen Rahmen, in den Städten, Landkreisen und Ortschaften. Wie eine phlegmatische Polizeibehörde in Kooperation mit einer untätigen Justiz an einer Etablierung von nazi-dominierten Gebieten mitstrickt, lässt sich im Westen Wuppertals gut beobachten. Dort wiederholen sich Vorgänge, die auch aus der Dortmunder Nordstadt oder anderen Städten mit einem Naziproblem bekannt sind. Der Unterschied zwischen Jena, bzw. Zwickau und Dortmund oder Wuppertal ist ein gradueller, vielleicht auch nur zufälliger. Es steht die Vermutung im Raum, dass die Art der behördlichen Protegierung von Nazigewalt die gleiche ist – lediglich die Akteure oder die Gelegenheiten sind andere.

Eine Debatte darum ist jedoch nicht gefragt. Weder in Wuppertal, noch anderswo in Deutschland. Würde nämlich die strukturelle, bis vor die eigene Haustür reichende Verstrickung der Behörden mit den Neonazis thematisiert, stünde die amtliche Vorgabe einer Gleichsetzung von «Rechts» und «Links» zur Diskussion, die die ideelle Basis des Behördenhandelns ist. Ein Umstand, der mit «Gleichsetzung» übrigens noch beschöningend umschrieben ist. Alle, die antifaschistisch aktiv sind, wissen, dass gegen vermeintliche «Linke» ungleich härter und brutaler vorgegangen wird als gegen rechte Menschenverachter, Hetzer und Rassisten. Dafür muss man nicht erst nach Osten schauen, wo Behörden, die die Nazimörder jahrelang gewähren liessen, die «Freie Gemeinde Jena» und Pfarrer König einer unerträglichen Verfolgung unterziehen.

Die von fanatisierten Ideologen wie Kristina Schröder (CDU-Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) durchgesetzte «Extremismusdoktrin», dient einem billigen Ziel. Sie ist der Ausfluss jener trüben Gedankenwelt, in der die bestehenden Verhältnisse «alternativlos», das «Ende der Geschichte» und somit unantastbar sind. Zum Zwecke der Durchsetzung dieser – harmlos ausgedrückt – bescheuerten Weltsicht wird alles in Kauf genommen, was dienlich erscheint. Auch Nazigewalt – die sich notfalls auch jederzeit trefflich gegen emazipatorische Projekte einsetzen lässt, bei denen dem Staat rechtliche Grundlagen zur Bekämpfung (noch) fehlen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Toten des Naziterrors als bedauerliche «Kollateralschäden». Die ermordeten Kleinunternehmer ebenso wie die Familie Genç, die 1993 beim Brandanschlag auf das Solinger Wohnhaus fünf Opfer zu beklagen hatte. Wenn einzelne, türkisch-nationalistische Stimmen den – auch kurdischen – Initiatoren der Wuppertaler Kundgebungen am 15.12. die Instrumentalisierung der Opfer vorwerfen, so ist das nur noch zynisch. Die wahre Instrumentalisierung findet ganz woanders statt. Die von türkischen Nationalisten veröffentlichte Hetze gegen die Organisatoren der «Kein Fußbreit dem Faschismus»-Demonstrationen ist die nahtlose Übertragung der deutschen «Extremismus-Klausel» auf türkische und kurdische Migranten und Migrantinnen und das Verhältnis zwischen türkisch- und kurdischstämmigen Menschen.

Schwächung antifaschistischer Aktivitäten

Die «Extremismus-Doktrin» der Konservativen führt hier wie da bewusst zu einer Schwächung des antifaschistischen Widerstands vor Ort und gibt jenen ein Alibi, die bei Nazi-Übergriffen wegsehen. VertreterInnen einer Sichtweise, die das «Neue Deutschland» als extremistisch einstuft, Interviews von Parteigenossen in der «Jungen Freiheit» jedoch knorke findet, machen sich mitschuldig an Übergriffen von Rechts.

Wenn in Wuppertal die Opfer eines Knüppelüberfalls am Rande des Vohwinkeler Flohmarktes durch die Polizei als «Linksextremisten» eingestuft werden, so hat es in ihren Augen eben «die Richtigen» getroffen. Es darf daher nicht verwundern, wenn VohwinkelerInnen lieber weg- als hinsehen, auch weil sie sich notfalls von der örtlichen Polizei «alleingelassen» fühlen, wie zu hören ist.

Auch die Auseinandersetzungen innerhalb des zu Beginn des Jahres gegründeten Bündnisses gegen Nazis gehen letztlich auf die Schröder’sche «Extremismus-Doktrin» zurück. Wenn von bestimmten Gruppen – wie behauptet wird – Antifaschisten und Antifaschistinnen bei einer Kundgebung zum 09.November am Reden gehindert werden sollten, oder wenn den antisemistischen und volksverhetzenden Parolen aus dem Nazihaus in Vohwinkel nichts als ein «kämpferisches Schweigen» entgegengesetzt werden darf, um die anwesenden Honoratioren wie OB Jung nicht zu vergrätzen, dann lauert auch dahinter die Sorge vor dem Verlust öffentlicher Zuwendungen. Den entsprechenden finanziellen Knüppel hat das Familienministerium schließlich bereitgelegt. Eine Gedenkdemostration unter dem Motto «Erinnern heißt Handeln!» darf sich jedoch nicht aufs «Maul halten» beschränken. Sie wird sonst zur Selbstverhöhnung.

Bildet Banden!

Da erscheint es fast so folgerichtig wie abstrus, wenn nun für den 23.Januar von türkisch-nationalistischen Gruppen zu einer Kundgebung «Schweigen gegen das Schweigen» aufgerufen wird. Ein Motto, das schon einen ziemlichen Knoten im Kopf voraussetzt.

Wenn die Ereignisse der letzten Zeit und die Enthüllungen zu den Morden der Thüringer Neonazi jedoch eines gezeigt haben, dann, dass Schweigen und betroffenes Kerzenhalten nicht mehr ausreicht. Es geht vielmehr um die Etablierung von antifaschistischem Widerstand im Alltag – in breiten Bündnissen. Die Kundgebungen am letzten Donnerstag, zu denen türkische, kurdische und deutsche Antifaschisten und Antifaschistinnen aufgerufen hatten, sind da ein guter Anfang gewesen.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Bündnisse im nächsten Jahr noch wirkungsvoller zusammenarbeiten werden. Das Motto für 2012 lautet – um einen alten Ratschlag wieder aufzugreifen – «Bildet Banden!»

Abschließend an dieser Stelle mal ein besonderer Dank an das Wuppertaler Medienprojekt, dessen Filme und Öffentlichkeitsarbeit unschätzbare Dienste bei der Thematisierung des Problems leisten. Und auch die ansonsten gerne und zu Recht beschimpften Medien sollen hier mal lobend erwähnt werden. Was die Redaktion des kostenlosen Anzeigenblattes «Wuppertaler Rundschau» zum Thema geleistet hat, waren mutige und wichtige Zeichen auch für andere lokale Medien, die sich Ignoranz gegenüber dem Problem nun nicht mehr leisten können.

Der Kurzbericht der WDR Lokalzeit Bergisches Land am Abend des 15.Dezember:

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