Im Mai wird der «100-Jahre-Plan» der Stadtverwaltung, der in seiner Weitsicht den einen Tag vor der Wuppertaler Stadtratssitzung beschlossenen Haushaltsplänen der Regierung Griechenlands nur wenig nachsteht, von den Blockparteien in einer überwältigenden Geste des Vertrauens mit großer Mehrheit angenommen werden. Da der große Plan der Troika vom Rhein – der sogenannte «Stärkungspakt Stadtfinanzen» – vom SPD und Grünen-Zentralkommitee in Düsseldorf eingetütet wurde, im Tal aber von einem CDU-Stadtratsvorsitzenden und einem CDU-Devisenbeschaffer umgesetzt werden, besteht keine Gefahr einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk, das für derzeit 34 NRW-Städte die Defacto-Abschaffung kommunaler Souveränität vorsieht. Erst Recht nicht, nachdem Wuppertal aus der Gruppe der den «Stärkungspakt» ablehnenden Kommunen «herausgekauft» und zum Fürsprecher der Landesregierung wurde.
Die Stadt wird weggespart und ihren BewohnerInnen wird wenig gelassen.
Nichtmals die Wahrheit hat die Verwaltung für die WuppertalerInnen noch übrig.
Da bleibt es beispielsweise unhinterfragt, wenn der große Vorsitzende verkündet, der vorgelegte Plan führe zu einer Rückerlangung städtischer Handlungsfreiheit – und dabei ausgerechnet stolz auf die Personalpolitik verweist, obwohl sich diese zurückerlangte Freiheit der Verwaltung nur Minuten später in der Streichung von 120 Vollzeitstellen bei der Stadt bis 2016 ausdrückt.
Oder, wenn der große Vorsitzende noch vor der Vorstellung des Doppelhaushalts von der tollen Kulturstadt an der Wupper schwärmt, und die leider verstorbene Pina Bausch arg vertraulich einfach «Pina» nennt, bevor er mit fürstlichen Worten einen «Ehrenring» an Wim Wenders verleiht, und sein Kämmerer wenig später verkündet, sich die Kultur einfach sparen zu wollen. Das bringt ihm drei Mio. Gummi-Europunkte im «Spiel der großen Zahl» ein. Am Ende des via Powerpoint mit Wissenschaftlichkeit aufgepeppten Vortrages von Kämmerer Slawig kamen sich jene, die mitrechneten, verarscht vor, wenn schon wieder von der «einmaligen Chance» Wuppertals gesprochen wurde.
Das Ärgerlichste am Umgang der Stadt mit der Gesetzesvorgabe aus Düsseldorf, die als «Stärkungspakt Stadtfinanzen» Städten wie Wuppertal oder Witten keine Wahl lässt – als überschuldete Kommune muss Wuppertal an der Geschichte teilnehmen – das wirklich Ärgerlichste daran ist die Unehrlichkeit mit der es verkauft wird. Dieser Umgang reiht sich in eine Tradition von Verschweigen, Vertuschen und Verschieben durch die Verwaltung ein – wie beim erst nach der letzten Kommunalwahl verkündeten alten HSK, wie beim Versprechen, nach dem Opern- auch das Schauspielhaus zu sanieren. Ärgerlich ist die Konstruktion einer hellen Perspektive für die Stadt, die mit viel Klamauk und Klingeling den Blick auf das Wesentliche verkleistert. Ärgerlich sind die wiederholten Losungen von der «historischen Chance» und dem «Licht am Ende des Tunnels» – sie können nur als Dankeschön an die Landesregierung aufgefasst werden. Ist doch Wuppertals Anteil am «kommunalen Stärkungspakt» außerordentlich hoch.
Eine Tatsache, die die gesetzten Worte des Bürgermeisters zu Beginn der Sitzung, die an die Adresse der anderen Kommunen gerichtet waren, wie Spott klingen lassen. In ihnen war viel von «Solidarität» und «kommunaler Familie» die Sprache. Betrachtet man jedoch etwa die Tatsache, dass Wuppertal um die fünfzig Prozent seines aktuellen Defizits aus den Landesmitteln des «Stärkungspakts» erhält, eine ebenfalls arme Stadt wie Witten aber nur zwanzig, wird aus den Worten Peter Jungs eine Verhöhnung. Nicht umsonst haben einige benachteiligte Kommunen Klagen gegen die Verteilung angekündigt. Was der «kommunale Stärkungspakt» für Städte wie Witten oder Oberhausen bedeutet, lässt sich erahnen, wenn man begreift, dass auch die überproportional hohen Zahlungen an Wuppertal nicht genügen werden, die verkündeten Ziele zu erreichen. Allen drastischen Sparmaßnahmen zum Trotz.
Die Kommunen werden investorengerecht zurechtgestutzt.
Die Dimensionen des zukünftigen Ausverkaufs sind noch nicht abzusehen.
Zuviele Unwägbarkeiten bilden die Basis der Prognosen des Stadtkämmerers, denen zufolge Wuppertal mit weiteren Einsparungen von «nur» 42 Mio. Euro bis 2016 einen ausgeglichenen Haushalt wird präsentieren können. Basis dieser Berechnungen ist das Gutachten von «Ernst & Young», das für die Landesregierung die Sinnhaftigkeit der nordrheinwestfälischen Schuldenpolitik am Beispiel Wuppertals beweisen sollte. Das war sein Zweck. Wer schonmal Budgets berechnet und Kostenpläne erstellt hat, und sich darüberhinaus mit der Willkürlichkeit der Gutachten von «Betriebsoptimierern» wie «Ernst & Young» beschäftigt hat, weiß, dass in einem solchen Gutachten fast jedes Ergebnis herbeigerechnet werden kann, das der jeweilige Auftraggeber wünscht.
Im Wuppertal betreffenden Gutachten – das kaum ein Mensch in Gänze gesehen hat – ist von dauerhaftem Wirtschaftswachstum, von stabilen, also niedrigen, Zinssätzen, von durchgängig moderaten Lohnabschlüssen im öffentlichen Dienst, (Slawig sprach von «maximal» 1,5%) und einer fortgesetzten Verbesserung am Arbeitsmarkt die Rede. Das würde die kommunal zu leistenden Zuschüsse zur Miete reduzieren. Dafür allerdings müsste es sich bei dieser Verbesserung am Arbeitsmarkt natürlich um seriös bezahlte Vollzeitstellen handeln – nicht aum Aufstocker-Jobs.
Diese Voraussetzungen im Gutachten der Betriebsprüfer müssten in den nächsten zehn Jahren erfüllt werden, um den von der Stadt aufzubringenden Anteil am Rettungsschirm bei jenen 42 Mio. Euro bis 2016 zu deckeln, die Stadtkämmerer Slawig nicht müde wird, vorzurechnen. Schließlich geht es für die Stadt nach dem prophezeiten Erreichen des Haushaltsausgleichs 2016 ja fünf Jahre weiter, weil dann die sich jährlich reduzierenden Landeszuschüsse ersetzt werden müssen. Bis 2022, dem Jahr, in dem keinerlei Gelder vom Land mehr kommen, muss Wuppertal – vom heutigen Stand aus betrachtet – also ohnehin 42 plus 72 Millionen Euro generieren. Und jede negative Änderung auch nur einer einzigen der Voraussetzungen aus dem Düsseldorfer Gutachten wird immer neue aberwitzige Millionenlöcher in den städtischen Haushalt reissen, die dann vom Kämmerer durch noch mehr Einsparungen gestopft werden müssen– schon 2012 werden die optimistischen Vorgaben nicht zu erreichen sein.
Johannes Slawig – oder vielmehr seine NachfolgerInnen – wird dann keine andere Wahl haben. Schließlich ist der Zwang zu sparen durch den «NRW-Stärkungspakt» gesetzlich bindend verankert. Das ist die dunkle Seite des Mondes, auf der postdemokratische Zustände herrschen, die Teilhabe am sozialen Leben nur mehr für wenige möglich ist, und wo auch noch die letzten Brachen und die letzten sympathische Eigenheiten einer Stadt kommerziell prostituiert werden müssen.
Der «Hundertjahresplan»: Eine visionäre zeitliche Vorausplanung.
Daran hat sich nicht einmal die UdSSR unter Stalin herangewagt.
Erst nach 2020 könnte die Stadt, oder viel mehr das, was dann noch von ihr übrig ist, beginnen, Altschulden zurückzuführen, die sich dann irgendwo auf 2 Milliarden Euro zubewegen werden. Werden doch schließlich bis 2016, trotz weggesparter Kultur und gestrichener Personalstellen, zusätzliche Schulden auf den Schuldenberg geschaufelt. Laut Planwirtschaft beginnt die Stadt also in zehn Jahren damit, ihre Alt-Schulden zurückzuzahlen. Und träfen die jetzt zugrundegelegten Parameter der wirtschaftlichen Entwicklung dann noch weitere einhundert Jahre lang zu, würde es Wuppertal tatsächlich gelingen, seine Schulden auch zu bezahlen. Es wäre um anno 2120 herum eine schuldenfreie Kommune.
Wenn aber eine Entschuldung nicht einmal im Rahmen der optimistischen Prognosen in Sicht ist, warum werden solche aberwitzigen Pläne dann gemacht? Eine Frage, die sich Griechen und Griechinnen, Spanier und Spanierinnen und viele andere Menschen in Europa schon seit einer Weile stellen. Sie haben die Antwort längst gefunden: An ihren Grundbedürfnissen wird gespart, ihre Existenz wird vernichtet und ihre Perspektiven werden ihnen genommen, um die (Finanz-) Märkte zu «beruhigen», um Kredite zu bedienen, Profite der Banken und anderer Gläubiger abzusichern und um die Profiteure der Krise weiterverdienen zu lassen. Die «Rettungsschirme» und Zahlungen der EU kommen nicht den Menschen in den einzelnen Ländern zu, sie fließen an die Banken und Glaubigerinstitutionen. Soziale Einrichtungen und Infrastruktur werden im Gegenzug weggespart. Und die Demokratie gleich mit.
Der «Stärkunspakt» für NRW-Kommunen funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Nicht umsonst war für die Festlegung der Höhe der vergebenen Landesmittel der Sockel der Altschulden und die daraus resultierenden Zinsen für die einzelnen Städte entscheidend. Wuppertal erhält bei 34 «teilnehmenden» Kommunen ein Fünftel der Gesamtsumme, weil seine Zahlungen an Banken und Gläubiger am Höchsten sind. Die umjubelten Zahlungen des Landes gehen nicht an die Stadt, sondern an ihre Gläubiger – von denen die WuppertalerInnen bis heute nicht erfahren dürfen, wer sie sind. Im Gegenzug werden auch hier tiefe Einschnitte in die Lebensqualität und Zukunftsperspektiven der Stadt und die weitgehende Aufgabe demokratischer Entscheidungsstrukturen eingefordert. Ein Witz, dass sich die Wuppertaler Landtagsabgeordneten der Regierungsparteien für ihren angeblich «löwenhaften» Kampf, den sie in Düsseldorf abgeliefert haben wollen, feiern.
Die festgeschriebene Katastrophe unter Aufrechterhaltung des «TINA»-Prinzips.
Postdemokratische Zustände in einer normalen, überschuldeten Kommune
Doch dieses ungerechtfertigte «sich-gegenseitig-auf-die-Schulter-schlagen» passt zu den bereits jetzt spürbaren Einschnitten in eine früher vehement postulierte «demokratische Kultur», die in einer neoliberal eingeschnürten Welt zunehmend überflüssig und lästig wird. Eine fast orwell’sche Dimension von Umdeutungen und Umbenennungen und ein äusserst aggressives Beißverhalten gegenüber jeder anderen Interpretation der einmal getroffenen Entscheidungen bestimmen auch in Wuppertal längst die Diskussion. Die Art, wie über die geplante «Haushaltssicherung» berichtet und debattiert wird, lässt dabei den Rückschluss zu, dass die Akteure um Rot-Grün, Reese und Jung, Slawig und andere ganz gut wissen, was sie da machen – und sehr fürchten, dabei ertappt zu werden.
Da werden – wie am letzten Montag – auch schonmal anderthalb Stunden Sitzungszeit darauf verwendet, einen Kritiker wie den sonst gerne ignorierten Bernhard Sander (DIE LINKE) anzugehen, oder gemeinsame Presseerklärungen von CDU und SPD in die Öffentlichkeit geworfen, um die GRÜNEN bei der Stange zu halten. Selbst die eher verwirrt betuliche WfW bekam den Furor der Mehrheitsfraktionen im Stadtrat schon zu spüren. Die seit den Protesten gegen «Stuttgart 21» in die offiziellen Textbausteine der Politiker aufgenommene Formulierung einer «gewünschten Bürgerbeteiligung» ist vor diesem Hintergrund einfach nur lustiger Schnickschnack.
Fazit:
Der «Stärkungspakt Stadtfinanzen» ist für Wuppertal wie für die anderen Städte kein Hoffnungsschimmer. Er ist die – nun auch gesetzlich – festgeschriebene Katastrophe zerstörter sozialer und urbaner Strukturen für Generationen. Und er ist die Preisgabe kommunaler Solidarität. Durch die kritiklose Akzeptanz des «Stärkungspakts» hat Wuppertal, als größtes Gewicht unter den betroffenen Städten, den anderen Kommunen einen Bärendienst erwiesen. Der dort zunächst artikulierte Widerstand der Verwaltungen wurde entscheidend geschwächt, als sich Wuppertal im Düsseldorfer Landtag als Musterschüler hat einkaufen lassen. Gerade die Stadt, die noch vor zwei Jahren bundesweit mit dramatischen Appellen die Solidarität der Anderen einforderte, fällt nun einer Stadt wie Witten in den Rücken. Dort musste die Bürgermeisterin nach dem Wuppertaler Lob für den «Stärkungspakt» und nach einer «Belehrung» durch einen Sparkommissar aus Düsseldorf, ihre anfängliche Kritik zurücknehmen.
Aber auch dem Musterschüler wird dieser «Stärkungspakt» nicht gut tun. In seinen Konsequenzen ist er die endgültige Umsetzung des nach viel Widerstand teilweise ausgesetzten alten Haushaltssicherungskonzeptes, das auch Einsparungen im Kinder-, Jugend-, Sport- und Sozialbereich vorsah, zuzüglich einiger weiterer Grausamkeiten. Die Stadt wird kaputtgespart. Ohne dafür auch nur einen einzigen Cent Schulden zurückzuzahlen. Und das ist die optimistische Annahme. Der einzige Unterschied zur Situation vor zwei Jahren: Das Ganze ist jetzt Landesgesetz. Und damit auch formal auf jene alternativlose «TINA»-Ebene gehievt, die verbal schon lange Debatten um gesellschaftliche Strukturen verhindern soll. Das aggressive «Werben» um die Akzeptanz dieses Gesetzes wird das letzte sein – demnächst wird innerhalb der Stadt nichts mehr diskutiert werden müssen. Das zukünftige Handeln der Stadtverwaltung ist dann tatsächlich ein alternativloses Exekutieren zentraler Vorgaben im Rahmen des «Hundertjahresplans».
Und doch soll niemand der momentan Handelnden glauben, alles wäre gut, wenn dieser «Stärkungspakt» durchgebracht ist, und danach ließe sich in Ruhe durchsparen. Informelle und subkulturelle urbane Zusammenhänge sind allemal für Überraschungen gut. Wäre doch gelacht, wenn dem großen Plan nicht noch dazwischenzufunken wäre.
Den Haushaltplan der Stadtverwaltung gibt es hier: Haushaltssanierungsplan_2012-2021_Entwurf.pdf