Gysi war da. Gunhild Böth war da. Susanne Herhaus und Bernhard Sander waren da. basta! war auch da. Und es waren 1.450 mehr Wuppertaler da, als zwei Wochen zuvor bei Claudia Roth. Wer wohl nicht da war, war die Westdeutsche Zeitung. Kamen schon in der Vorberichterstattung lediglich der am gleichen Tag in der Stadt weilende SPD-Popbeauftragte Gunter Gabriel (“Hey Boss, ich brauch’ mehr Geld!”) und einige FDPler vor, die sich im Rex treffen wollten, doch nichtmal diese Kleinkunstbühne vollbekamen, so glänzte auch der Minaturbericht des lokalen Zeitungsmonopolisten am Tag danach mit ganzen 38 Worten zum Wahlkampfauftritt Gregor Gysis, von denen drei schon auf den Namen des Platzes entfielen, auf dem er sprach, zwei auf das Alter des LINKEN-Fraktionsvorsitzenden und weitere fünf auf die NRW-Wahl als Anlass des Ganzen. Um bloss nicht auf die Inhalte der einstündigen Rede, die “viel Applaus” erhielt – soviel, immerhin, traute sich die WZ zu schreiben – eingehen zu müssen, wurde dann noch schnell ein Foto des Redners über den Artikel gesetzt, um den Platz möglichst sinnfrei zu füllen.
Und wieder musste auch dieser nichtsnutzige, kleine alibijournalistische Artikel mit ganz viel Zeitungs-Voodoo bekämpft werden, wie schon vor einem dreiviertel Jahr, nach der Rede Oskar Lafontaines. Wurde der Lafontaine-Beschimpfung in der Westdeutschen Zeitung seinerzeit ein halbseitiges Interview mit Wuppertals unerträglichstem Berlin-Abgeordneten, Peter Hintze (CDU) entgegengesetzt, fiel der Blick des Lesers diesmal auf einen langen Bericht über den ehemaligen Countrysänger und heutigen SPD-Vorsitzenden Gabriel. Dieser hatte sich die Erfahrungen seines Vorgängers Müntefering mit dem rauhen Charme der Wuppertaler zueigen gemacht, und lieber auf den Kontakt zur Volksseele verzichtet. Die Schmach, bei einem gleichzeitigen öffentlichen Auftritt mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Zuhörer zu haben als Gysi, wollten sich die Sozialdemokraten offenbar nicht zumuten. Gabriels und ihre Hits liegen eben schon etwas länger zurück. Also schwadronierte dieser lieber mit einigen von Hand verlesenen Vertretern der Wohlfahrstverbände und Andreas Lukesch von der WZ bei einer Fahrt mit der Schwebebahn über die Tatsache, dass Politik “einfach” sei und machte einige unverbindliche Aussagen zur Bewältigung der kommunalen Krisen. Ausser einem, von der WZ überlieferten “Das kollabiert gerade”, hatte der SPD-Vorsitzende konkret aber offenkundig nichts zur Situation Wuppertals beizutragen.
Was der Fraktionsvorsitzende der LINKEN zeitgleich auf dem Willy-Brandt-Platz zu sagen hatte, erfuhren die Leser der “überparteilichen und unabhängigen” Tageszeitung Wuppertals nicht. Weder die von heftigen Beifallskundgebungen unterbrochenen Ausführungen zu Afghanistan, noch die ebenso laut beklatschten Forderungen nach einer Steuerreform, die das Geld da wieder abholt, wo es in den letzten Jahren hingeschleppt wurde, um damit die lange Liste der sozialpolitischen Forderungen der LINKEN erfüllen zu können, fanden Erwähnung. Dabei hätte man aus lokaler Perspektive auch durchaus kritisch über Gysis Auftritt berichten können.
Aus basta!-Sicht beispielsweise war bedauerlich, dass das aufgehängte Transparent mit dem Motto zum 1.Mai “Die Stadt gehört uns!” der einzige direkte Beitrag zur akuten Krise der Stadt geblieben ist. Bei allem Verständnis für festgelegte Wahlkampfvorträge und Drehbücher – die LINKE und ihr Franktionschef haben am Dienstag nicht nur eine besonders gute Gelegenheit liegenlassen, mit der Haushaltskrise der Stadt bei den Leuten zu punkten. Auch basta! hätte sich über eine stärkere Position im aktuellen Konflikt zum Haushaltssicherungskozept gefreut. Immerhin sind Gysis Parteigenossen im Tal die einzigen Parlamentarier, die das von OB und Kämmerer vorgelegte Spardiktat von Anfang an rundweg abgelehnt haben. Doch um das in die täglich wohl mehrfach gehaltene Rede einzubauen, hätte es wohl doch eines ausführlicheren Briefings des Bundespolitikers bedurft – von Berlin aus betrachtet, ist Wuppertal eben weit weg, und seine Probleme scheinen wohl eher marginal. Berlin hat schliesslich selbst genug.
Wenn es einen weiteren Beweises dafür bedurft hätte, dass es richtig ist, die Dinge hier in der Stadt selbst in die Hand zu nehmen – die Wahlkampfauftritte hätten ihn geliefert. Das, was Gysi vorgetragen hat, war sicherlich das Aufzeigen eines möglichen Weges aus der kommunalen Pleite, es ist jedoch nicht anzunehmen, dass dieser allzu schnell gegangen werden wird. Für die konkret anstehenden Auseinandersetzung in der Stadt waren seine Ausführungen sicher keine echte Hilfe. Und über den Verwalter der sozialdemokratischen Trümmer braucht man eigentlich gar nichts mehr zu sagen. Er sollte lieber wieder zur Gitarre greifen, und “Es steht ein Haus im Kosovo” als Soldatenaufmunterung vortragen. Das war wenigstens ehrlich gemeint.
Bleibt als Fazit zu hoffen, dass basta! auf diesen Seiten in Zukunft eine echte Wuppertaler Gegenöffentlichkeit zu jener Tageszeitung schaffen kann, die demokratische Spielregeln so eklatant verletzt. Dann könnte man auf die am Dienstag durch einen einsamen Rufer gestellte Forderung “Enteignet Giradet!” gegebenenfalls auch verzichten. Vielleicht.
Sehr geehrte Autoren,
eigentlich wollte ich diesen Artikel ja mit Nichtbeachtung strafen…jetzt möchte ich aber doch gerne ein paar kurze Worte verlieren.
Ich habe lange nicht mehr ein so dermaßen polemisierende “Berichterstattung” gelesen wie diese. Der Artikel strotzt gerade so vor persönlichen Meinungen und Empfindungen. Das hat noch viel weniger mit demokratischer Berichterstattung zu tun, als es der von Ihnen angeprangerter Girardet-Verlag macht.
Reine Meinungsmache…und das auf aller unterstem Niveau. Jeder klar denkende Mensch erkennt das hoffentlich und besucht diese ja eigentlich gut gemeinte Seite das letzte Mal.
MfG
Hallo, nm – vielen Dank für den Komentar. Doch müssen wir einiges klarstellen.
Erstens polemisiert dieser Artikel ja doch wohl in der Hauptsache gegen die Berichterstattung der örtlichen Tageszeitung. Na gut – auch gegen einige Politiker auf Bundesebene… doch hat diese Stadt ihre derzeit schlechte Verfassung schliesslich auch einigen Weichenstellern auf diesen Ebenen zu verdanken. Es ist uns nicht bekannt, dass Sigmar Gabriel in den letzten Jahren, in denen er mitregiert hat, viel unternommen hätte, um die kommunale Krise zu verhindern. Wenn er jetzt dieses Thema entdeckt, muss erlaubt sein, dass satirisch durch den Kakao zu ziehen. Über Peter Hintze, der ebenfalls erwähnt wird, reicht es zu sagen, dass er erst vor kurzer Zeit erneut im Bundestag gegen die Interessen der Stadt gestimmt hat, als er einen Antrag der GRÜNEN, den Bundeszuschuss zu den Unterkunftskosten der ALGII-Bezieher zu erhöhen, (bzw. nicht abzusenken), ablehnte.
Zweitens geht der Bericht im zweiten Teil auch durchaus kritisch mit den Aussagen Gysis zu unserem Hauptanliegen, der kommunalen Krise, um. Es kann natürlich sein, dass Sie bis zu diesen Textpassagen nicht mehr vorgedrungen sind.
Drittens handelt es sich bei dem Bericht um einen namentlich gezeichneten Artikel. Wie anderswo auch, repräsentiert ein solcher Artikel nicht zwingend die Meinung dieser Seiten oder des basta!-Bündnisses. Sie können gerne in Zukunft darauf verzichten, Artikel von “um3000″ zu lesen – die ganze basta!-Redaktion mit Missachtung zu strafen, erscheint uns jedenfalls etwas überzogen…
Viertens ist dies eine Publikation, die ein offenes Redaktionsprinzip verfolgt. Sie können sich also gerne auch selber hier einbringen. Derzeit ist dazu noch eine Kontaktaufnahme per eMail notwendig, in Kürze wird auch dieser Umstand nicht mehr nötig sein, um hier seine eigene Meinung einzubringen.
Viele Grüsse von der basta!-Redaktion.
Liebe Redaktion,
wenn dies ein namentlich gekennzeichneter Artikel sein soll, dann bitte ich um Hinweise. Während bei den meisten Artikeln des Käseblättchens aus dem Girardet-Verlag immer noch ein Redakteur mit seinem “richtigen” Namen den Kopf hin hält, ist dies eine Plattform, bei der sich die Autoren hinter Pseudonymen verstecken? Warum? Gibt es was zu verstecken? Wenn sich hinter dem Kürzel “um3000″ unser Oberbürgermeister Jung verstecken würde, könnte ich es ja noch verstehen. Aber wer Meinung machen will, sollte auch zu seiner Meinung stehen! Alles andere ist peinlich!
Hallo, Martin.
“um3000″ schreibt und postet seit Jahren unter diesem Pseudonym. Warum das jetzt ändern? Es ändert schliesslich auch für Leser wenig bis nichts. “Anonym” bedeutet “nicht zuzuordnen, unbekannt”. Das trifft bei Pseudonymen, die konstant genutzt werden, nicht zu. Welchen gesteigerten Nutzen zieht denn ein Leser aus dem Wissen, dass ein/e Autor_in “Johann” oder “Johanna” heisst? Kennt er sie/ihn deshalb?
Die Forderung nach dem Namen aus einer Geburtsurkunde lenkt doch nur ab und impliziert, dass das, was gesagt oder geschrieben wird, irgendwie fragwürdig sei. Das ist doch Quatsch. Wir sind sicher, dass um3000 seine Meinung jederzeit persönlich vertreten würde. Einen Wunsch, mit “um3000″ direkt Kontakt aufzunehmen, leiten wir gerne weiter.
Wir werden auch weiterhin nicht darauf bestehen, dass Leute, die ihre Meinung sagen wollen, hier vorab ihren Personalausweis abzugeben haben.
Die Redaktion
Danke für den erfrischenden Artikel.
Wer so prächtige Vorlagen abgibt, darf sich nicht wundern, wenn darüber satirisch berichtet wird. Das wäre, mit Verlaub gesagt, die Aufgabe der örtlichen Presse, aber die scheint wohl einen ganzen Wäschekorb voll Maulkörben beachten zu müssen. Bleibt die Frage offen, wie tief kann ein “Journalist” sinken?
Gruß aus Remscheid
H. Voß