Stadtrat: Die September-Aufführung

Die September-Aufführung des Wuppertaler Stadtrates am Montag, den 20.09. zeigte einmal mehr, wie wenig man/frau auf Vorab-Rezensionen geben sollte. Die zuvor in den Mittelpunkt der Inszenierung gerückte Handlung um die „Optionskommune Wuppertal“ war gar nicht Hauptthema des Stücks. Sehr viel interessanter waren die Nebenplots um Schauspielhaus, Döppersberg und die Nordbahntrasse.

Optionskommune?

Vor der Ratssitzung am Montag schien als einzig wichtiger Tagesordnungspunkt der Antrag auf Bewerbung der Stadt als Optionskommune ausgemacht. Ausführliche Berichte in der Lokalpresse – die sich im Übrigen auch in der Nachbetrachtung der Sitzung auf das Thema beschränkt – erweckten den Eindruck, hierbei ginge es um eine Schicksalsfrage für die Stadt. Auch der OB, der ausdrücklich das Ausbleiben einer Diskussion um die „Optionskommune“ begrüsste, vermittelte ein solches Gefühl. Das ist natürlich Unsinn.

Hinter dem Wortgeklingel um „deutlich bessere Möglichkeiten“ zur Förderung „arbeitsmarktferner“ Personengruppen und der an keiner Stelle begründeten Behauptung, mit einer kommunal geleiteten Hartz IV-Verwaltung liesse sich den Menschen besser helfen, verbirgt sich lediglich ein Gezerre um Einfluss auf Personal und Etats, die indirekt der Stadt zufliessen. Die ARGE übernimmt in Wuppertal ohnehin zunehmend die Funktion der alten DDR-Treuhandanstalt, indem sie inzwischen einen Grossteil der Wuppertaler Arbeitsplätze fördert, bezuschusst oder direkt bezahlt. Damit ist sie ein nicht zu unterschätzender lokaler Faktor. Immerhin erhalten mehr als zehn Prozent aller Wuppertaler_innen Leistungen von dort. Hierauf möchte die Verwaltung ihren Einfluss behalten und ausbauen.

Offen angesprochen wurde diese Motivation lediglich von Klaus Jürgen Reese (SPD), der darauf hinwies, dass die „Gefahr“ bestünde, dass nach einer Umsetzung des Verfassungsgerichts-Urteils zur Zusammensetzung der ARGEN der kommunale Einfluss auf die Hartz IV-Verteilung gegen Null gehen könnte. Bevor das passiere, müsse sich Wuppertal eben um den Status einer kommunalen Hartz IV-Verwaltung (die sog. „Optionskommune“) bemühen. Dafür würde die bankrotte Stadt sogar nochmal 2,5 Mio. Euro für die notwendige neue Software investieren. Eine Summe, die in etwa der geplanten Kürzung des Etats der Wuppertaler Bühnen entspricht.

Die Arbeitslosigkeit der Bürger_innen als Lösung der städtischen Finanznot?

Alle anderen Redner sagten entweder gar nichts Berichtenswertes zum Thema, wie Arnold Norkowsky (CDU), oder beschränkten sich auf ein Lob für die Arbeit der Wuppertaler ARGE. Lediglich Bernhard Sander (DIE LINKE) stimmte nicht in die Begeisterung über das ursprünglich einmal von Roland Koch (CDU) und der FDP initiierte Modell der Optionskommunen ein.

Leider beschränkte sich DIE LINKE in ihrer Kritik jedoch auf Grundsätzliches zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit, ohne dabei deutlich zu machen, dass die ARGE in einer Optionskommune zu einem „Super-Sozialamt“ würde – abgekoppelt von der Arbeitsagentur, mit einem vergleichsweise riesigen Etat und eigenen Sanktionsmöglichkeiten. Etwas, von dem die alten städtischen Sozialämter nur träumen konnten. In einer „Optionskommune“ kommt Hartz IV ans Ziel – die Arbeitslosen werden endgültig zu lokal verwalteten „Überflüssigen“.

Auch über die durchaus möglichen Konflikte, die sich mit einer Optionskommune Wuppertal ergeben können, verlor Sander leider kein Wort. Denn dass solche entstehen können, scheint allzu klar. Zu gross wird die Versuchung sein, die lokal gemanagte Langzeitarbeitslosigkeit der Wuppertaler Bevölkerung als Teil einer Lösung der städtischen Finanzprobleme zu sehen. Bereits jetzt nehmen die Aufgaben der Stadt, die durch sanktionsbedrohte 1,50 Euro Jobber_innen ausgeführt werden, ständig zu.

Auf nach Oldenburg am 10. Oktober!

Für basta! wird das die zentrale Frage bei der Beurteilung der Ratsentscheidung sein, sollte die Stadt tatsächlich zu einer Optionskommune werden. Alles andere ist ohne Belang für die auf Transferleistungen angewiesenen Menschen – am sozial ausgrenzenden System Hartz IV ändert sich weder durch die eine noch durch die andere Form der Verwaltung etwas. Echte Verbesserungen werden nach wie vor direkt erkämpft werden müssen, wie z.B. durch die Forderung nach einer sofortigen Erhöhung des Regelsatzes um 80 Euro monatlich bei der bundesweiten Demonstration „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ am 10. Oktober in Oldenburg, an der sich das Aktionsbündnis basta! gemeinsam mit Tacheles beteiligen wird.

Vom Standpunkt der Einflussnahme auf Entscheidungen und Entscheidungsträger_innen aus betrachtet, lässt sich einer „Optionskommune“ aus unserer Sicht dann sogar auch Positives abgewinnen – immerhin würden Massnahmen und Fehler zukünftig nur noch von Menschen zu verantworten sein, die für die Wuppertaler_innen unmittelbar erreichbar sind.

Als der Antrag mit allen Stimmen des Rates – mit Ausnahme der vier Fraktionsstimmen der LINKEN – angenommen war, war OB Peter Jung (CDU) die Erleichterung darüber und über das absehbare Ende der Ratssitzung deutlich anzumerken. Schliesslich war es bei einigen Anträgen zuvor um äusserst kontroverse Themen gegangen, die er offenkundig gerne aus der Debatte herausgehalten hätte.

Döppersberg – Stuttgart in Wuppertal?

Schon der Beginn musste ihm und seinem Stadtkämmerer Slawig missfallen haben, als sie durch Gerd-Peter Zielezinski (DIE LINKE) mehrfach auf das Thema Döppersberg-Umbau angesprochen wurden. Von der überheblichen Selbstgefälligkeit, die bislang die Reaktionen des OB geprägt hatten, wenn die Sprache auf das „Leuchtturmprojekt“ des Elberfelder Innenstadtumbaus gekommen war, war jedenfalls nicht mehr viel zu spüren.

Die Proteste gegen „Stuttgart 21“ scheinen bei der Stadtverwaltung Besorgnis auszulösen, auch in Wuppertal könnten immer mehr Menschen die Sinnhaftigkeit der 300 Mio. Euro Investition (davon alleine 30 Mio. städtischer Gelder) infragestellen, je mehr Einschnitte in die Lebensqualität der Stadt offen zutage treten, je mehr historische Brücken abgerissen und Bücherbestände in Bibliotheken reduziert werden müssen und je konkreter die nervende Riesenbaustelle wird.

Wo fahren sie hin? Döppersberg? Schauspielhaus?

Und diese Besorgnis besteht sicher zu Recht – es ist schliesslich nie zu spät, unsinnige Planungen und Vorhaben zu stoppen. Dass vorauseilend die Hälfte der städtischen Zuschüsse zum Stadtmarketing für das nächste Jahr zweckgebunden der positiven Kommunikation des Projektes zugewiesen wurde, ersetzt nicht die Auseinandersetzung mit den Einwänden der Bevölkerung und wird entstehenden Protest sicher nicht verhindern können.

Hatte man nach der vorletzten Ratssitzung noch den Eindruck, am Projekt „Döppersberg“ könne nicht mehr gerüttelt werden, wurde am Montag offensichtlich, dass das Thema in Wuppertal noch lange nicht durch ist. basta! wird seinen Teil dazu beitragen, indem wir den Döppersberg zu einem Aktionsschwerpunkt der nächsten Wochen machen.

Der Betrug ums Schauspielhaus

Noch schwieriger wurde es für die beiden Mehrheitsfraktionen (CDU, SPD), als ein FDP-Antrag verhandelt wurde, der den Rat der Stadt dazu aufforderte, sowohl den Erhalt des Sprechtheaters, als auch des dazugehörigen Hauses in Elberfeld zu beschliessen, um damit der neuen Landesregierung ein starkes Signal zu geben, dass Wuppertal hinter seinem Theater steht. Immerhin waren aus Düsseldorf zuletzt positivere Signale zu hören gewesen, wenn es um mögliche Theaterschliessungen ging.

In der nachfolgenden Debatte versuchten SPD und CDU um die Frage herumzulavieren, warum sie ein solches Zeichen – mehr wäre dieser Beschluss nicht gewesen – zum jetztigen Zeitpunkt nicht setzen wollten. Die SPD sah sich dabei mit der besonderen Schwierigkeit konfrontiert, sich mit der Ablehnung des FDP-Antrages in direktem Widerspruch zu den verbindlichen Äusserungen ihres Wuppertaler Vorsitzenden und Landtagsabgeordneten Dietmar Bell zu befinden, der vor der NRW-Wahl noch postuliert hatte, eine Schliessung des Schauspielhauses sei mit der Wuppertaler SPD nicht machbar.

Deutlich wurde im Verlauf der Debatte, dass die beiden Mehrheitsfraktionen das Elberfelder Schauspielhaus offenbar bereits aufgegeben haben. Halbherzige und unglaubwürdige Dementis konnten diesen Eindruck nicht entkräften. Auch der durch die Medien gegangene „Investorenspaziergang“ durch das Schauspielhaus wurde bestritten. Doch dabei kam es darauf an, genau hinzuhören. Denn niemand bestritt, dass Gespräche mit privaten Investoren geführt wurden. Das wäre schlechterdings auch nicht möglich – so liegen uns absolut glaubhafte Informationen darüber vor, dass schon zu Beginn des Jahres gewichtige Akteure des Eventmarketings auf eine alternative Nutzung des Hauses angesprochen worden sind.

Auch die Terminologie, der sich der „Nebenbei-Kulturdezenent“ Matthias Nocke (CDU) im Kulturausschuss bedient hat, als er beim Schauspielhaus von einer „1A-Lage“ sprach, ist mehr als verräterrisch. Seine hilflosen Versuche, das als Missverständnis zu kaschieren, machten die Angelegenheit nur schlimmer.

Und die Versuche Nockes, den Betrug an den Bürger_innen zu bestreiten, der durch das seinerzeitige Versprechen einer Koppelung von Opernhaus- und Schauspielhaussanierung begangen wurde, indem er die Nichteinhaltung des zweiten Beschluss-Teiles ausschliesslich der Weltwirtschaftkrise zuordnete, waren nur noch peinlich. In Wahrheit war bereits im Jahr 2006 – (in dem der „Doppelbeschluss“ gefasst wurde) – offensichtlich, dass die umfangreiche Sanierung beider Häuser wahrscheinlich nicht durchführbar sein würde. Entsprechende Bedenken seitens der LINKEN sind protokolliert. In Wahrheit wurde damals bewusst die Unwahrheit gesagt – mit der Entscheidung zur teuren Sanierung der Oper war die jetzt anstehende Entscheidung über das Schauspielhaus bereits unvermeidlich.

OB Jung hat seinerzeit mit der Entscheidung für das Opernhaus seinen ganz persönlichen Kulturbegriff zur Entscheidungsgrundlage gemacht. Wie sehr sich der Begriff „Kultur“ für Peter Jung mit dem Musiktheater verbindet, wurde auch am Rande der Ratssitzung wieder deutlich, als er die am Vorabend stattgefundene Premiere von „La Bohéme“ in der Oper als ausreichenden Ausweis Wuppertaler Kulturlebens pries und sich dabei königlich in sich hineinfreute. Der Trick mit der versprochenen Sanierung des Schauspiels hat ihn 2006 davor bewahrt, die Wuppertaler_innen zu fragen, welchen Kulturbegriff sie denn haben. Oper, Schauspiel, Tanztheater oder vielleicht alle drei?

...erst vorbei, wenn die dicke Frau...

Er sollte sich jedoch sicher sein, dass viele Wuppertaler_innen eine andere Auffassung davon haben, was „Kultur“ für sie bedeutet als er, und dass eine Aufgabe des Hauses an der Bundesallee sicher nicht so einfach akzeptiert wird. Und er sollte wissen, dass eine Sache erst erledigt ist, „wenn die dicke Frau gesungen hat“.

Zumindest das sollte unser Oberbürgermeister bei seinen Opernbesuchen gelernt haben.

Demokratie für Reiche

Was uns von diesem Montag noch im Gedächtnis geblieben ist, waren zwei Anfragen, bzw. Anträge, die sich im weitesten Sinne mit „Bürger_innenbeteiligung an einer bankrotten Stadt“ umschreiben liessen, ein Thema, dem sich basta! schon gewidmet hat und dem wir zukünftig noch mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen wollen.

Dabei geht es im Kern um die Frage, welche Bürger_innen in welchem Umfang an ihrer Stadt beteiligt werden können oder sollen und wie eigentlich eine demokratische Kontrolle über in Bürger_innen-Regie geführte frühere städtische Einrichtungen und Räume gewährleistet werden kann. Könnten sich die GRÜNEN mit ihren am Montag dargebrachten Vorstellungen von GmbHs für Schauspielhaus oder Schwimmbäder mit Steuerabschreibungsmöglichkeiten durchsetzen, hiesse dass nicht nur, dass Einzelne jene Summen, die sie der Stadt zur Verfügung stellen, an anderer Stelle dem Gemeinwesen einfach wieder entziehen, es bedeutete auch, dass zukünftig nur noch jene Wuppertaler über Teile des Lebensumfeldes aller Menschen entscheiden würden, die es sich auch leisten können. Urbane Teilhabe und Gestaltungsmöglichkeiten armer Menschen würden sich weiter verringern.

Wie das aussehen kann, wenn Organisationen von Bürger_innen Ziele durchsetzen, kann man beispielsweise gut an der oft fragwürdigen, im Zweifel auch agressiven Vorgehensweise der „Wuppertalbewegung“ beobachten. Auch die Organisation und Mobilisierung des Hamburger Volksbegehrens gegen die Schulreform zeigt deutlich auf, dass vorgeblich „geöffnete“ Beteiligungsmodelle ohne eine Chancengleichheit von Vermögenden und Nicht-Vermögenden bei Mobilisierung und Lobbyarbeit nichts wert sind, sondern sogar schädliche Auswirkungen haben können, wenn sie lediglich elitären Minderheiten zur Durchsetzung ihrer Interessen dienen.

Wenn dann noch, wie aus einer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE hervorging, bei der Nordbahntrasse ein öffentlicher Raum einer GmbH zur Nutzung überlassen wird, während die finanziellen (und teilweise unabschätzbaren) Risiken des Betriebes in voller Höhe bei der Stadt liegen, dann haben einige wenige Bürger_innen die Verfügungsgewalt über allen gehörende Räume und Flächen, während im Notfall alle anderen für die Folgekosten zahlen müssen – und sei es dann durch Schliessungen weiterer städtischer Einrichtungen.

Dass der SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Jürgen Reese auf kritische Bemerkungen zum Bürgerfinanzierungsmodell der GRÜNEN von Elisabeth August (DIE LINKE) erwiderte, solche Bedenken einer sozialen Segregation seien etwas, „was ihm in seinen schlimmsten Albträumen“ nicht einfallen könne, zeigte auf, dass das Problembewusstsein für wahre demokratische Teilhabe der Bürger_innen an ihrer Stadt bei vielen Stadtverordneten bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt ist.

Auf der Grundlage der Ratssitzung am Montag muss man Wuppertal für die nächsten Monate viele schwere Auseinandersetzungen prophezeien. Dass dem Oberbürgermeister neben dem Döppersberg mit dem Thema Schauspielhaus ein zweites offenes und noch unüberschaubares Konfliktfeld droht, gefiel dem Fürsten jedenfalls gar nicht.

Und wenn Stadtkämmerer Johannes Slawig (CDU) auch für nächstes Jahr „Heulen und Zähneklappern“ bei den Haushaltsentscheidungen ankündigt,  bereitet es seinen Chef nicht nur auf länger andauernde Proteste vor, er sichert damit zugleich auch unsere Existenz als „Aktionsbündnis gegen das Totsparen und für das Recht auf Stadt“ langfristig ab.

Versprochen, basta!

Post to Twitter Post to Delicious Post to Facebook Post to StumbleUpon

Ein Kommentar Kommentar schreiben
  1. redaktion sagt:

    Welch’ Wunder… Andreas Lukesch beurteilt in seinem letzten Artikel aus dem Stadtrat für die WZ (er verlässt die Redaktion – was für ein grausamer Verlust für die örtliche Pressefreiheit…) die Debatte ums Schauspielhaus gänzlich anders als unsere Beobachter_innen.

    http://www.wz-newsline.de/?redid=949307

Kommentar schreiben

Du musst eingeloggt sein um zu kommentieren

Soli-Aktion am Donnerstag, den 26.07. in Wuppertal-Elberfeld

"Das ist dein Job? Da ziehe ich es vor, arbeitslos zu sein!"

Das Soli-Komitee Wuppertal ruft für den Nachmittag am nächsten Donnerstag zu einer Protestaktion an der örtlichen Filiale der "Banco Santander" auf – Wall, Wuppertal-Elberfeld, weitere Infos folgen in Kürze.

letzte tweets