Zwei lokalpolitische Nachrichten liessen in der letzten Woche aufhorchen. Zum einen gab es eine lautstark verkündete Distanzierung der Wuppertaler CDU und FDP vom Strafantrag gegen die Polizeiführung durch das Wuppertaler “Bündnis gegen Nazis”, zum anderen wurden erste Weichen dafür gestellt, die präventive Jugendarbeit der Stadt weiter zu beschneiden. Mit der Folge, dass eines von zwei Vohwinkler Jugendzentren von der Schliessung bedroht ist.
Beide Meldungen wären – jede für sich – eine Erwiderung wert, doch erst durch ihre Kombination wird aus ihnen jener Schuh, den man – (nach arabischem Vorbild) – den Verantwortlichen für die Jugendpolitik Wuppertals entgegenschleudern sollte.
Sich lange mit den Presseerklärungen zweier Parteien zu beschäftigen, die zu keiner Zeit aktiv an der Vorbereitung von Protesten gegen den Naziaufmarsch am 29.01. mitgewirkt haben, ist eigentlich unnötig. Die Aussagen zum Polizeieinsatz und zur Kritik des Bündnisses an der Einsatzleitung waren ebenso vorhersehbar, wie zum Teil falsch.
Wenn der Fraktionsvorsitzende der lokalen CDU, Simon, verkünden lässt, “Einzelne” missbrauchten das Bündnis durch das Stellen des Strafantrages wegen “Strafvereitelung im Amt”, unterschlägt er, dass die CDU über das Zustandekommen des Beschlusses zur Strafanzeige gar nicht informiert sein kann. Weder beim Nachbereitungstreffen – bei dem jener Beschluss einstimmig zustandekam – noch bei einem der anderen Treffen des Wuppertaler “Bündnis gegen Nazis” war die CDU je dabei. Sie trat während der Treffen lediglich in Erscheinung, als ihr Oberbürger Peter Jung erfolglos versuchte, auf Personalentscheidungen des basisdemokratischen Bündnisses Einfluss zu nehmen. (Aufklärung in der “wupperstream”-Sendung; immer noch hier und dort zu hören.)
Mit Protestwurstessen und gelber Jackierung in die Katastrophe
Fragt man – angesichts der Ablehnung zivilcouragierten Protestes und des Lobs für dessen Unterbindung duch die polizeilichen Einsatzkräfte – nach antifaschistischen Konzepten der etablierten Parteien und Verbände, die über ein deklamatorisches Protestwurstessen oder, wie bei der FDP, über eine signalgelbe Jackierung bei einer Standkundgebung hinausgehen, so erhält man durchweg die gleichen Antworten aus der Parteien-Gebetsmühle: Durch eine verbesserte Wertevermittlung und durch Aufklärung soll die Bereitschaft junger Menschen reduziert werden, sich menschenverachtenden und nazistischen Gruppen anzuschliessen. Und immer wieder wird gerne betont, man müsse auf junge Leute zugehen und sich um ihre Bedürfnisse kümmern.
Wie sieht sowas in der Praxis aus? In Wuppertal zum Beispiel? Wo in der Stadt doch offenbar ein Nazi-Problem existiert, das vor gerade einmal dreieinhalb Wochen mehrere tausend Menschen auf die Strasse brachte? Wird dort die bisherige Aufklärungsarbeit hinterfragt? Im Jugendhilfe-Ausschuss, der in der vergangenen Woche tagte, konnten interessante Studien zur Beantwortung der Frage angestellt werden.
Denn wieder einmal wurden die anwesenden Jugend- und Jugendhilfeorganisationen und eine zahlreich vertretende “Öffentlichkeit” mit einer “alternativlosen Entscheidung” konfrontiert, und wieder ist es fehlendes Geld, das die “Alternativlosigkeit” begründet.
Im Kern dreht es sich bei der Entscheidung, die letzten Donnerstag von Sozialdezernent Kühn (SPD) auf den Weg ihrer Verabschiedung durch den Stadtrat gebracht wurde, um die Reduzierung von Stellen für die städtische Jugendarbeit. (Entscheidung dazu im Stadtrat: voraussichtlich im Mai diesen Jahres) Sozialdezernent Kühn bestreitet das zunächst. Er spricht lieber von einer “Einigung” die man mit der Bezirksregierung habe erreichen können, bei der es um die Neubesetzung frei gewordener Stellen geht, bei der der Stadt aufgrund der Haushaltslage bislang die Hände gebunden waren.
Kurze Zeit später wird jedoch klar, dass diese “Einigung” nur erreicht werden konnte, weil Wuppertal die Gesamtzahl städtischer Stellen im Jugendbereich kürzt. Um nun dadurch manifeste Ungleichgewichte in der Verteilung städtischer Stellen über das Stadtgebiet auszugleichen, sollen Planstellen nunmehr von Vohwinkel im Westen in den Ostteil der Stadt verschoben werden. Und weil dieser Ausgleich vorgenommen wird, werden die Kürzungen in der Beschlussvorlage dann übrigens auch nicht beim Namen genannt, sondern firmieren unter “Veränderungen in der städtischen Kinder- und Jugendarbeit ”
Die Massnahme, die zunächst wie ausgleichende Gerechtigkeit aussieht – so sind bisher in Vohwinkel 3,5 Stellen für 1.300 Kinder eingeplant, in Wichlinghausen gibt es nur eine einzige Personalstelle für 3.500 dort lebende Minderjährige – führt in letzter Konsequenz jedoch zur Schliessung eines der beiden Jugendzentren in Wuppertals Westen. Vor dem Hintergrund der verschärften Naziproblematik, deren derzeitiger “Hotspot” in Vohwinkel liegt – (eine Tatsache, um die auch der Ausschuss ganz offensichtlich weiss) – ist die Reduzierung “präventiver Jugendarbeit” schlicht ein Katastrophe.
Mit Leidensmienen zur falschen Entscheidung
Ihr Ausmass wird klar, wenn berücksichtigt wird, dass sich bereits jetzt in Vohwinkel noch zu wenige Menschen um die Belange der Kinder und Jugendlichen kümmern, (…von Stadteilen wie Wichlinghausen gar nicht zu reden…). Und dies auch nach eigener Aussage der Verantwortlichen der Stadt, die in der Auschuss-Diskussion zudem deutlich machten, dass nach allen Fachkriterien im Grunde eigentlich etwa 10% der städtischen Etats für Jugendarbeit für “präventive Massnahmen” ausgegeben werden müssten. In Wuppertal beträgt der präventiv verwendete Anteil am Gesamtetat für Jugendarbeit jedoch bisher gerade einmal 7-8%. Anstatt also die vorbeugende Arbeit in einem Problemstadtteil wie Vohwinkel auf das empfohlene Mindestmass auszubauen, zieht sich die Stadt weiter zurück.
Mit “unverantwortlichen Kosequenzen”, wie nicht nur Mitarbeiter dortiger Jugendzentren sagen. Das sagt auch Sozialdezernent Kühn selbst, der im Verlauf der Diskussion von einer “Harmonisierung der städtischen Jugendarbeit auf niedrigem Niveau” spricht – einem Niveau, das ” fachlich nicht zu begründen” sei. Bittere Aussagen, denen alle Anwesenden ausdrücklich, aber folgenlos zustimmen.
Letzen Endes beteiligen sich alle an der Vorbereitung einer Entscheidung, von der alle wissen, dass sie falsch ist. Grundsätzlich, gesellschaftlich und sogar finanzpolitisch – denn dass die Folgekosten ausgebliebener “präventiver Jugendarbeit” höher ausfallen, als der Ausbau von Jugendzentren, Hilfsangeboten und Freizeitmöglichkeiten für junge Menschen, ist unumstritten. Nur sind die Folgekosten, also vor allem Massnahmen der Bestrafung und Resozialisierung von “auffällig gewordenen” jungen Menschen, Teil des nicht antastbaren Pflichtenkatalogs der Städte. Vorbeugung und Aufklärung gehören nicht dazu – sie können im Zweifel also geopfert werden.
Ändern könnte dies die NRW-Landesregierung. Doch wo Landesregierungen Prioritäten setzen, lässt sich mit dem neuen Jugendknast auf dem Scharpenacken inzwischen schliesslich betrachten.
Die im Jugendausschuss argumentierenden Vertreter_innen der Parteien und der Stadt offenbaren durch ihren Widerspruch zwischen Überzeugung und Handeln eine hilflose Vergeblichkeit ihres Tuns, die Betrachter fast mitleidig werden lassen kann. Ein Mitleid, das erst durch das engagierte Auftreten eines Vertreters der neugewählten Jugendräte verfliegt. Sein Argument, dass die jungen Menschen schliesslich eines Tages die Schulden bezahlen müssten, von denen sie aber selber sehr wenig haben – im Gegenteil, man nimmt ihnen von dem Wenigen jetzt noch etwas mehr weg – bleibt unbeantwortet. Der emotional vorgetragene Appell, endlich etwas zu tun, nicht immer nur die Aussichtslosigkeit und das fehlende Geld anzuführen und endlich im Interesse der Wuppertaler_innen zu handeln, erinnert daran, dass auch Sozialdezernent Kühn und seine Kollegen und Kolleginnen freiwillig dort sind, wo sie sind, und dass sie niemand zwingt, Vorgaben zu exekutieren, die sie ganz offenbar für völlig falsch halten.
Was hält Sozialdezernent Kühn eigentlich auf seinem Posten? Was hält ihn davon ab, ihn wenigstens im Interesse der Wuppertaler_innen auszuüben und angesichts solch fataler Entscheidungen soetwas wie “zivilen Ungehorsam” im Amt zu zeigen?
Bildet Banden und bewaffnet euch
Es ist jedoch nicht nur Vergeblichkeit politischen Handelns, die durch eine solche Einzelentscheidung zutagetritt. In ihren Auswirkungen auf den Wuppertaler Alltag von morgen oder übermorgen ist es vielmehr die Vergeblichkeit einer ganzen Stadt, einen Umgang mit den Problemen der nächsten Jahre zu entwickeln. Wie die Entwicklung nämlich auch weitergehen kann, haben die Ereignisse am 29.01. bereits angedeutet.
Und auf welche Mitstreiter_innen dann gebaut werden kann, haben u.A. die Erklärungen der beiden genannten Ratsfraktionen nochmals deutlich gemacht. An zivilcouragierte Hilfe beim Umgang mit den Trümmern einer verfehlten Jugendpolitik ist bei den Vertretern dieser beiden Parteien jedenfalls nicht zu denken. Ihre Vertreter verschliessen die Augen vor den Folgen ausgebliebener “Wertevermittlung und Aufklärung”, und sehen dafür lieber den neuen Jugendknast als willkommene “Belebung des Arbeitsmarktes”.
Die heute von der lokalen CDU bei “Njuuz” veröffentlichte Pressemitteilung “CDU begrüßt Konstituierung des Jugendrates“ muss dem gerade erst gewählten und erfrischend couragierten Vertreter des Jugendrates vorkommen wie ein Schlag ins Gesicht. “Wir freuen uns, dass Jugendliche den politischen Prozess begleiten, sich mit ihren Anliegen im Jugendhilfeausschuss und in den Bezirksvertretungen aktiv beteiligen.” Deutlicher kann man jungen Leuten nicht sagen, dass einem ihre Anliegen scheissegal sind. Von den wohlfeilen “zivilgesellschaftlichen” Konzepten bleibt so nichts übrig ausser Sonntagsreden zur angesprochenen Protestwurst.
Was also tun? In letzter Konsequenz fühlt man sich an ein altes Grafitti am Platz der Republik – auch so ein Kiez mit einem “besonderem Erneuerungsbedarf” – erinnert: “Bildet Banden und bewaffnet euch!”
Dieser Beitrag ist sehr gut und viel zu schade, um bald in der üblichen Versenkung zu verschwinden. Den VerfasserInnen vielen Dank für diese mühevolle Arbeit.