Selbstamputationen stehen hoch im Kurs derzeit. In den Kinos zum Beispiel. In der vielbesprochenen Verfilmung einer wahren Begebenheit, “127 Stunden”, behält ein Bergsteiger sein Leben nur, weil er sich irgendwann den Arm abschneidet. Ob es die Stadt Wuppertal und die ihre Belange entscheidenden Akteure jemals auf die grosse Leinwand schaffen werden, ist allerdings fraglich. Und ob es auch in diesem Fall zum Überleben reichen wird, darf ernsthaft bezweifelt werden.
Für eine Verfilmung reicht es wohl schon deshalb nicht, weil sich die Handelnden von CDU, SPD und die mit ihnen stimmenden Stadtverordneten von FDP und WfW ihre Lage offenbar nicht eingestehen wollen. Anders ist nicht zu erklären, wie sie am Montag eine vorgebliche Lösung für die von der Schliessung bedrohten Schwimmbäder der Stadt feiern konnten, deren Konsequenz schon jetzt absehbar ist – Arm ab nämlich.
Entlassen in eine ungewisse Zukunft
Im offenkundigen Bemühen, die hier schon in einem der letzten Artikel konstatierte Vergeblichkeit kommunalen Tuns zu ignorieren, feierten die Mehrheitsfraktionen einen Beschluss zur Zukunft der öffentlichen Schwimmbäder ab, der das Schicksal in die Hände von Bürgerinitiativen legt – ohne denen dabei zu helfen, die wichtigen Sport- und Freizeiteinrichtungen dauerhaft betreiben zu können. Die klare Absage an städtische Betriebskostenzuschüsse im Gepäck, und mit zum Teil hohem Sanierungsbedarf an den Einrichtungen wurden die Bürgervereine, die sich um die bedrohten Stadtteilbäder gebildet haben, in eine ungewisse und kaum zu bewältigende Zukunft entlassen. Ihre Unterstützung bestand aus wohlfeilen Worten zum Bürgerengagement, das der Stadt in einer schweren Zeit helfe. Diesen allgemeinverbindlichen Bekenntnissen durfte eine ernsthafte Debatte um die Zukunft öffentlicher Aufgaben nicht im Weg stehen.
Die Konstruktionsprobleme einer solchen Übergabe der vollen Verantwortung an die Bürger_innen bleiben deshalb ausgeblendet. Weder die prinzipiellen Fragen nach einer sozialen und demokratischen Kontrolle von in Bürgerhand privat geführten Einrichtungen, noch wichtige Einzelfragen, wie zum Beispiel nach der zukünftigen Höhe einer Pacht für die städtischen Grundstücke, wurden thematisiert. Obwohl die Fördervereine teilweise seit Wochen auf entsprechende Aussagen warten, erhielten sie zum Start in ihre Zukunft als “Schwimmbadbesitzer_innen” nichts als die vage Zusage, die zukünftige Pacht nicht gegen ihre Interessen festzusetzen. Somit fehlt den betroffenen “Bürgerbädern” eine echte Kalkulationsgrundlage, die Grundvoraussetzung für eine zukünftige Festsetzung der Eintrittspreise und für Entscheidungen zu notwendigen Investitionen ist.
Soziale und demokratische Kontrolle: Fehlanzeige
Und wie bei anderen Fällen einer “weichen Privatisierung in Bürgerhand”, werden die Wuppertaler_innen darauf angewiesen sein, dass die neuen privaten Betreiber der zuvor städtischen Einrichtungen von sich aus sozial verantwortungsbewusst handeln – dass sie nicht an der Eintrittspreisschraube drehen und dass sie nicht ausschliesslich auf billige Arbeitskräfte des zweiten Arbeitsmarktes zurückgreifen – eine Entwicklung, die durch die Hintertüre letztlich doch wieder öffentliche Quasi-Subventionen, z.B. über ausgleichende Zahlungen an schlecht bezahlte Schwimmmeister_innen oder an andere Arbeitskräfte notwendig machen würde.
Anstatt offen darüber zu streiten, wie angesichts der Alternative der Schliessung fast aller städtischen Schwimmbäder eine Mindestversorgung mit Sport- und Freizeitstätten in den jeweiligen Quartieren erreicht werden kann, ohne dabei soziale Standards zu verletzen, wurden die Sprecher_innen der Ratsfraktionen der GRÜNEN und der LINKEN, die genau diese Fragen aufwarfen, als bornierte Bürgerfeinde verunglimpft, die Bürgerengagement grundsätzlich misstrauen und freiwilliges Engagement mit Füssen treten. Dabei wäre eine offene Diskussion darüber, wie eine soziale und demokratische Kontrolle aufgegebener und an private Träger übertragener öffentlicher Einrichtungen gewährleistet werden kann, absolut überfällig.
Es war ein unwürdiges Schauspiel, was die Mehrheitsfraktionen – sekundiert von der FDP – bei der Debatte zur Zukunft der Bäder ablieferten. Als Bernhard Sander für die LINKE notwendige Mindeststandards bei Arbeitsplätzen und Eintrittspreisen ansprach, entblödeten sich einzelne nicht, vollkommen sinnbefreit mit Verweisen auf die DDR zu antworten. Es war ein Verhalten wie im Vorschulkindergarten – das Schlimmste daran: Viele Stadtratsverordnete scheinen solche ablenkenden Scheindebatten nichtmal als taktisch-politisches Vorgehen zu werten, sondern bierernst zu meinen. Im Anschluss an die Ratssitzung liessen sich auf den Gängen Lokalpolitiker beobachten, die angesichts der “empörenden” und “unverschämten” Bedenken von GRÜNEN und LINKEN noch immer fassungslos waren…
Es trifft wieder die ärmsten Stadtteile
Unter dem Strich bleibt, dass sich die Stadtverordneten nicht die peinliche Blösse geben mussten, auf einen Streich fast die gesamte Bäderlandschaft Wuppertals abzuwracken – die Verantwortung dafür wurde stattdessen privaten Trägervereinen zugeschoben, die es nun am Hacken haben, die Schwimmbäder zu erhalten. Dass die Trägervereine das mitmachen und die sofortige Abwicklung der Schwimmbäder verhindern, ist lobenswert, aber nicht unbedingt weitsichtig. Nicht alle Fördervereine haben sich am letzten Montag derart in die Pflicht nehmen lassen. Für das Freibad Mirke wird es voraussichtlich keine Rettung geben, weil der dortige Förderverein die Verantwortung für die unübersehbaren Kosten einer Sanierung ohne verbindliche, langfristige Zusagen der Stadt nicht tragen kann und will. Der für diesen Sommer vorgesehene Notbetrieb als “Riesensandkasten” wird das Siechtum des alten Bades leider wohl nur verlängern.
Dass ausgerechnet das Bad mit der wichtigsten sozialen Bedeutung auf der Strecke bleiben wird, ist für die betroffenen Stadtteile im Norden Elberfelds eine Katastrophe. Eine Tatsache, auf die auch die vor dem Rathaus demonstrierenden jungen Wasserballer des SSC Hellas letzten Endes vergeblich aufmerksam zu machen versuchten. Mit der Schliessung “der Mirke” verlieren gerade die Quartiere mit dem höchsten Armutsrisiko der Stadt ihre oft letzte Freizeitmöglichkeit, die für viele, die dort wohnen, zugleich oft als Ersatz für den für sie unbezahlbaren Urlaub an fernen Stränden herhalten musste. Für sie dürfte auch der Hinweis auf die noch vorhandenen Schwimmbäder in anderen Stadtteilen nicht hilfreich sein, bedenkt man die hohen Beförderungskosten im örtlichen Nahverkehr.
Gesprächsverweigerung und Narhallamarsch
Die Debatte über die Zukunft der Schwimmbäder zum Ende der Februar-Sitzung war jedoch nicht der Tiefpunkt demokratischer Diskussionskultur im Wuppertaler Stadtrat. Den hatten zuvor alle Ratsfraktionen ausser DIE LINKE abgeliefert, als sie sich im demokratischen Konsens darauf verständigten, über eine sehr wichtige Angelegenheit erst gar nicht reden zu wollen. Obwohl der Aufmarsch der Nazis am 29.01. und der diesen ermöglichende fragwürdige Polizeieinsatz fast alle Wuppertaler_inen auf diese oder jene Art betroffen hatte, verweigerte der Stadtrat jede Debatte über eine eigentlich von der LINKEN gewünschte Resolution des Stadtrates dazu.
Dabei war der vorgelegte Resolutionstext der LINKEN eher harmlos – es handelte sich um eine fast wörtliche Übernahme einer Stellungnahme eines SPD-Funktionärs, die dieser unter dem Eindruck der Geschehnisse nach jenem Samstag abgegeben hatte. Da die Wuppertaler SPD jedoch eine Konfrontation mit ihrem Kooperationspartner – der CDU – wohl um jeden Preis verhindern wollte, und auch nicht gegen den Wortlaut einer Stellungnahme eines der ihren stimmen mochte, wurde jede Diskussion dazu mithilfe von “Verfahrenstricks” (der Stadtrats-Verordnete der LINKEN, Gerd-Peter Zielezinski) unterbunden. Die Ereignisse rund um die grösste politische Manifestation in Wuppertal seit über zwanzig Jahren – (am 29.01. demonstrierten über 5.000 Wuppertaler_innen gegen die Nazidemo) – zu tabuisieren, ist ein absolutes Armutszeugnis der im Stadtrat vertretenden Parteien. (Der vorgelegte Resolutionstext findet sich am Ende des Artikels zum Download als pdf-Datei.)
Zwischen kommunaler Handlungsunfähigkeit und Diskussionsverweigerung fand der Stadtrat ansonsten nur noch Zeit, das zwischenzeitlich erschienene Kinderprinzenpaar des Wuppertaler Karnevals zu begrüssen. Den tapferen Beobachter_innen der ganzen Angelegenheit drängte sich dabei der Eindruck auf, dass das Lokalparlament bei der Begrüssung der bunt geschmückten Gecken durch den “Stadtfürsten” Peter Jung ganz bei sich war. Fehlen nur noch Pappnasen und Narhallamarsch nach den nächsten Entschlüssen zur sozialen und kulturellen Demontage unserer Stadt.
Tumultartige Reaktionen bei der Rede von Gerd-Peter Zielezinski
Download:
Der Resolutionsentwurf im Wortlaut