Diesen Montag, 09.08., setzen wir unsere Sommer-Themenreihe mit Filmen im Open-Air-Kino „Talflimmern“ in der Alten Feuerwache an der Gathe in Wuppertal-Elberfeld fort. Das Programm an diesem Montag: ab etwa 19.30 Uhr – Einführendes zum Thema „Die Revolution im Kopf“; ab ca. 21.15 Uhr gucken wir dann: „Videogramme einer Revolution“ (112 Min.) von Harun Farocki aus dem Jahr 1992 über die einzigartigen Fernsehtage der rumänischen Ereignisse von 1989. Im Anschluss sehen wir noch „Surplus oder Konsumterror“ (2003, 50 Min.) von Eric Gandini.
Achtung: Open-Air-Kino auch bei Regen !!! Das Kino verfügt über ein Regendach !
Eingang ab 19.30 Uhr durch die Kneipe der Alten Feuerwache !!! Eintritt frei !
basta! geht in die zweite Runde der Sommer-Offensive 2010. Nachdem wir am letzten Montag das Thema „Recht auf Stadt“ in vielen Facetten betrachtet haben – auch ohne alle Filme betrachten zu können, doch das wird diesmal anders – widmen wir uns diesmal einem ganz anderen Feld. Es geht darum, unter welchen medialen Umständen wir überhaupt handeln, wie sehr Bilder eine eigene Form der Wahrnehmnung von Realität erzeugen und wie weitreichend hieraus die Konsequenzen sind. Für Handeln und Denken.
Nach einem einführenden Gespräch über das Thema ab etwa 19.45 Uhr gucken wir gemeinsam zwei Filme, die auf völlig verschiedene Weise Bezug zur Geschichte der Bilder haben. Der erste Film ist Videogramme einer Revolution aus dem Jahr 1992 von Harun Farocki (D, 112 Min.). Das Werk des vielleicht wichtigsten deutschen Dokumentarfilmers der 1968 u.A. zusammen mit Holger Meins und Heike Sander zu den Absolventen des legendären ersten Jahrgangs der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin gehörte, ist im strengen Sinne eigentlich kein Film. Er besteht aus einer sezierend genauen chronologisch präzise aneinandergefügten Sequenz von Fernseh- und Videomaterial aus den Tagen des Sturzes von Nicolae Ceaușescu in Rumänien 1989.
Da das rumänisiche Staatsfernsehen in den Tagen der Ereignisse ununterbroche live auf Sendung war und der Hauptschauplatz des Machtwechsels das TV-Studio, ist die rumänische „Revolution“ wahrscheinlich das erste revolutionäre Ereignis, das eine scheinbar nahezu lückenlose chronologische Rekonstruktion erlaubt. Während dieser Rekonstruktion fällt jedoch eines immer mehr buchstäblich ins Auge: Wie fragwürdig diese scheinbar ganz unmittelbare Berichterstattung und die Ereignisse die wir sehen, insgesamt sind.
Videogramme einer Revolution ist eines der spannendsten Stücke Kino über die Fernsehgeschichte, die hier erstmals dabei beobachtet wird, wie sie selber Geschichte wird. In seiner Wirkung auf den Zuschauer ist Videogramme einer Revolution verstörend und Gewissheiten zersetzend. Nicht umsonst wurde der Film im Sommer letzten Jahres von der französischen Kultzeitschrift für Cineasten, “Cahiers du cinéma”, in die Liste der „zehn subversivsten Filmen aller Zeiten“ aufgenommen. (Kurzer Ausschnitt unten)
Anschliessend sehen wir noch den 50-minütigen Film Surplus oder Konsumterror (S, 52 Min.) des schwedisch/italienischen Regisseurs Eric Gandini von 2003. Der Film ist eine Mischung aus äusserst wirkungsvollem Musikclip zum G8-Gipfel in Genua, Dokumentarstückchen über eine Sexpuppenfabrik, über Kuba oder einen unglücklichen Yuppie und einem Portrait des US-amerikanischen radikalen Intellektuellen John Zerzan. Methodik und Effekte von „Surplus oder Konsumterror“ befinden sich dabei – aller inhaltlichen Technik- und Konsumkritik zum Trotz – auf dem höchsten Niveau, das im Jahr 2003 erreicht werden konnte. Die im Film vermittelten Botschaften sind sicher diskussionswürdig, die formale Umsetzung ist es nicht. Weit mehr als jedes klassische „Bewegungsvideo“ von Demonstrationen erreicht Surplus die Betrachter direkt.
Zum Thema „Die Revolution im Kopf“:
Unser politisches Handeln und unsere Motivation zu politischem Handeln setzt das Vorhandensein von Geschichte voraus, die Kausalzusammenhänge erlaubt. Geschichte setzt sich aus linear erzählten Geschichten zusammen. Geschichte und Geschichten benötigen ein linear erzählendes Medium. Ein Alphabet, Worte, Sätze. „Geschichte“ existiert daher erst seit ca. 4.000 Jahren.
Mit den Buchstaben konkurrieren schon immer die Bilder um unsere Auffassung der Welt. Sie gab es vor der Schrift in den Höhlenzeichnungen und – spätestens seit der Erfindung der Foto- und später auch der Filmtechnik, auch zu jeder Zeit des durch Schrift geprägten Geschichtsempfindes. Die Konkurrenz zwischen Schrift und Bild ist nicht nur eine um Aufmerksamkeit. Beide Medien verknüpfen die übermittelte Information mit konträr verschiedenen Ebenen. Bilder bleiben immer magisch – dem Ungreifbaren zugeordnet, indem sie die Distanz zum Geschehen aufheben. Sie vermitteln sich direkt und verschliessen sich Analyse, Kritik und der Weitererzählung. Schriftgeschichte fordert dagegen zur Auseinandersetzung auf.
Viele Gesellschaftstheorien und -modelle sind ohne die rationale Auseinandersetzung und Fortschreibung einer Geschichtenanalyse völlig undenkbar. Für lange Zeit prägte die Schrift – und mit ihr die lineare und räumlich begreifbare Geschichtenerzählung –unser Verständnis der Welt. Die Bilder wurden – sofern vorhanden – in die jeweilige Geschichtenerzählung eingebaut. Sie dienten der Illustration des Geschriebenen, sollten erklären und zu jeder Zeit auch Interpretationen des Erzählten vorgeben, also manipulieren. Ihr Ziel war es, in die Geschichte einzugehen, ein Teil der Geschichte zu werden, bestimmten Ereignissen eine magische Definition zu geben. Ihre Magie blieb jedoch immer dem Rahmen der begrenzten Anzahl von Rezipienten unterworfen und unterlag zudem den Folgen der immer weiter erfolgenden linearen Geschichtsschreibung.
Irgendwann in den letzten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts haben die Bilder dann begonnen, zunehmend selbstrefenziell zu werden und sich von der linear erzählten Geschichte zu lösen. Ihre schiere Existenz wurde zunehmend selber zu Geschichte. Angefangen bei der ersten Mondlandung bis hin zum alles beeinflussenden Bild des zusammenstürzenden World Trade Centers an „Nine-Eleven“ verlagerte sich das Wesen der Geschichte immer weiter vom linear-kausalen in den magischen Bereich. Der damit einhergehende Verlust an Erklärungsmodellen führt seither zu immer weniger möglichen Bezugspunkten für Veränderungswillen. Die Menschen bleiben in „magischen“ Szenen gefangen, die linear nicht mehr zu verorten sind.
Der Film „Videogramme einer Revolution“ von Harun Farocki aus dem Jahr 1992 zeigt in fast zwei Stunden Fernsehmaterial aus den Tagen des Sturzes von Nicolae Ceaușescu in Rumänien. Die Ereignisse dieser Tage markieren wahrscheinlich exakt den Punkt der erstmaligen Wende: Bilder, die nicht mehr Geschichte illustrieren, sondern um der Bilder willen selber Geschichte werden. Harun Farocki seziert den Moment, in dem Kameras die fast vollständige Macht über unser Verständnis von Wirklichkeit übernommen haben, dabei chronologisch genau.
Für uns bedeutet dieser Moment vor zwanzig Jahren, dass wir darüber nachdenken müssen, wie sich ein rationaler Veränderungswille in einer magischen Geschichte eigentlich überhaupt noch manifestieren lässt, und an welcher Stelle echte Eingriffe in ein zunehmend selbstrefenzielles System noch möglich sind. Die Konsequenzen, die sich durch den „Textsturm“ der Bilderwelt ergeben haben, reichen weit darüber hinaus, „medial geschult“ in Konflikte gehen zu müssen – vielmehr müssten wir die Prinzipien einer magisch-szenischen Geschichtsschreibung vom Anfang einer Handlung an besser berücksichtigen.
Dabei ist die (nachholende) Diskussion darüber derweil selber schon Geschichte. Als Farocki und Ujica die rumänische „Revolution“ sezierten, war das Internet noch eine Veranstaltung weniger Nerds. Inzwischen sind es nicht mehr nur die Bedingungen des Fernsehens, die unsere Geschichtswahrnehmung bestimmen. Der Magie der Bilder hat sich die Magie aufgelöster Räume hinzugesellt.
Das wird Thema eines zweiten Abends „Die Revolution im Kopf“, der irgendwann im späten Herbst diesen Jahres stattfinden wird.
Der zweite zur Verfügung stehende Film, „Surplus oder Konsumterror“ von Eric Gandini berührt die Schnittstelle zwischen der Fernsehbildgeschichte und der elektronischen. Er steht deshalb auch am Schluss der Veranstaltung. Gandini nutzt sehr weitgehend die Magie der aus dem Fernsehen bekannten Bilderwelten, um subersiv auf den Zuschauer einzuwirken. Da der Film 2003 entstand, wurden in ihm die Möglichkeiten der „neuen Technologie“ bereits geschickt eingesetzt – wenn er sich auch inhaltlich noch das Fernsehen bezieht.